21. September 2011

Ray Davies

Nicht wie Mick Jagger

Es scheint, dass alle alten Rockhelden sich heute rückwärtsgewandter Alben bedienen, um an einstige Erfolge anzuknüpfen. Nur tun dies die einen besser als andere. Zu den durchdachteren Varianten zählt «See my Friends» des britischen Songschreiberdenkmals Ray Davies. Gegenüber TheTitle erklärt er exklusiv, welcher Teufel ihn geritten hat, seine klassischen Kinks-Songs mit Leuten wie Bruce Springsteen, Mumford & Sons, Paloma Faith, Metallica (!) und Bon Jovi (!!) neu aufzunehmen.

Interview: Robert Rotifer
Unverwüstlich: Ray Davies. Foto: © Universal Music

Ein paar hundert Meter hinter den Hügeln von Hornsey, dort, wo das nördliche London zu Königin Victorias Zeiten über seine natürliche Grenze an den obersten Rändern des Themsentals hinauswuchs, steht ein uncharmantes altes Haus mit einer gesichtslosen grauen Fassade. Sein einziges auffälliges Merkmal ist der blaue Neonschriftzug KONK über der Eingangstür. Von 1973 bis zu ihrem vorläufigen Ende 1996 produzierten die Kinks im Gemäuer hinter dieser Pforte den nachklassischen Teil ihrer popmusikalischen Dokumentation einer dahinschwindenden Working Class. Seither hat der Hausherr und Kinks-Chef, Sänger und Songschreiber Ray Davies das Studio an allerhand Musiker nachfolgender Generationen wie Jarvis Cocker, Arctic Monkeys, Magic Numbers, Kooks, The Divine Comedy oder The Coral vermietet. Im vergangenen Sommer ging dann ein Gerücht durch die Szene, der geizige alte Grummler wolle diesen historischen Schauplatz der Londoner Popgeschichte für zwei Millionen Pfund verscherbeln.

Und tatsächlich, als ich Davies an einem regnerischen Oktobernachmittag besuchen komme, flattert da ein buntes For Sale-Schild im Wind. Durch einen hügeligen Korridor stolpere ich zwischen massiven alten Bandmaschinen tief in den Bauch des verwinkelten Hauses. Ein freundlicher junger Mann bittet mich, an einem Wandschrank, in dem sich eine Echokammer befindet, ganz vorsichtig vorbei zu trippeln, weil im Aufnahmeraum nebenan gerade eine Session im Gange sei. Am Ende des langen Gangs öffnet sich dann eine Tür in einen hohen, holzgetäfelten Kontrollraum. Auf einer abgesessenen Couch, eingewickelt in seinen karierten Wollschal, sitzt ein verschnupfter Ray Davies mit einem Laptop auf dem Schoss. «Entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit», sagt er, mit dem Blick auf den Bildschirm und ungeduldigen Fingern auf der Tastatur. Und dann, als er aufblickt: «Ich erinnere mich an Sie.»

Stimmt, im Jahre 1998 hatte ich Davies schon einmal interviewt, und zwar vor der Veröffentlichung seines Albums The Storyteller, das in Anekdotenform auf seinen eigenen Werkekatalog zurückblickte. Seither sind zwei Solo-Alben mit neuem Songmaterial (Other People’s Lives, Working Man’s Café) erschienen. Sein jüngstes Projekt See My Friends ist dagegen wieder dezidiert rückwärtsgewandt, diesmal in Form von Neuinterpretationen alter Songs mit Partnern wie Metallica, Jackson Browne, Amy MacDonald, Bruce Springsteen, Alex Chilton, Lucinda Williams, Mumford & Sons oder Jon Bon Jovi. Ein bizarr durchmischtes Line-Up, das unter Davies’ Jüngern – gelinde gesagt – für Diskussionen gesorgt hat.

«Es stimmt also», platzt es aus mir heraus, «dass all das hier verkauft wird?»

«Hoffentlich nicht, das wäre schade», sagt Davies, «nur der Teil des Hauses, der kein Studio ist.» Dann klappt er seinen Laptop zu. «Diese Dinger saugen einem das Hirn aus.»

 

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Ray Davies, ich habe gelesen, dass die Idee zu Ihrem Album von Ihrer Zusammenarbeit mit dem kürzlich verstorbenen Alex Chilton ausging. Ich wusste gar nicht, dass Sie mit ihm bekannt waren.

Ray Davies: Wir wurden erst im Jahr 2004 Freunde, nachdem ich angeschossen worden war [2004 wurde Davies bei einem Aufenthalt im French Quarter in New Orleans ins Bein geschossen. Er war einem Strassenräuber hinterher gelaufen, der seiner Freundin die Handtasche gestohlen hatte, Anm. des Verf.]. Es war eine komische Zeit. Ich konnte mich kaum bewegen. Und Alex war mein Nachbar. Wir sprachen nicht viel über Musik. Von seinem Werk kannte ich nur den ersten Hit, The Letter von den Box Tops, und ein bisschen was von seiner späteren Band Big Star. Ihn selbst kannte ich vor allem als Mensch, nicht als Musikerkollege. Als Mensch, der was von Musik versteht, nicht als einer wie Mick Jagger. Er war sehr an mir interessiert, aber dabei nicht zu erdrückend in seiner Neugier, sondern respektvoll. Er kam schliesslich aus dem Süden, aus Memphis, wo eine reservierte Atmosphäre herrscht. Meine damalige Freundin und er waren auch gut befreundet, also ergab sich alles auf sehr entspannte Weise. Er borgte mir seine Gitarre, damit ich in Übung bleiben und ein bisschen was schreiben konnte, weil meine Erholungsphase einige Monate dauerte. Irgendwann erwähnte er, dass er einen meiner Songs, Till the End of the Day, aufgenommen hatte. Er sagte, er würde gern einmal mit mir zusammen singen. Und ich sagte: «Wenn du das nächste Mal nach England kommst, lass es mich wissen.» So hat sich das alles entwickelt. Als er vorbeikam, nahmen wir eine sehr einfache Version des Songs auf.

Alex Chilton hatte Till the End of the Day nicht bloss aufgenommen, es war einer seiner adoptierten Songs, den er live immer wieder spielte.

Ich wusste das gar nicht. Ich hatte ihn ja nie spielen gesehen. Er war nicht sehr mitteilungsbedürftig, was seine eigene Karriere anging. Er fragte mich schon, ob ich Songs für ihn schreiben wolle, weil er unter Druck stand, wieder mit Big Star zu arbeiten. Es passiert so oft, dass die Leute sich erst so richtig zu jemand hingezogen fühlen, wenn er verschieden ist, aber Alex Chiltons Gedenken hat sich für mich zu einer Art Mission entwickelt. Er war ein unbeschwerter Charakter. Er hatte eine sehr lockere Einstellung seinem eigenen Leben gegenüber.

Als er starb, konnte man unter all den Nachrufen die Kommentare von Leuten lesen, die so Sachen schrieben wie: «Alex Chilton, ja, den hab ich einmal mit meinen Freunden getroffen. Und wir haben ihm gesagt, er soll uns The Letter vorsingen. Aber er war furchtbar mürrisch...» (Davies stöhnt mitfühlend auf) Man konnte sich vorstellen, wie es für ihn gewesen sein muss, immer auf einen Song angesprochen zu werden, den er als 16-jähriger gesungen hat. Darin liegt eine Verwandtschaft zu Ihrem eigenen Schicksal.

Das stimmt schon, die Leute fragen mich immer nach gewissen Songs, aber für Alex muss es noch schlimmer gewesen sein. Ich selbst hab ihn gebeten, über die Aufnahme von The Letter zu reden. Bei unserer Session hatte ich dieses instinktive Verlangen, seine Geschichten zu archivieren, also liess ich bei seinen Erzählungen das Band mitlaufen. Alex hatte ein grossartiges Haus in New Orleans, die Art von Haus, die sie dort Shotgun nennen, weil es vorne ganz eng ist, aber sehr weit nach hinten geht. Die Bezeichnung kommt daher, dass man theoretisch mit einem Gewehr durch alle Türen hindurch vom Eingang bis zur Hinterwand schiessen kann. Er war sehr stolz auf seine Plattensammlung, und ich bin mit meiner Freundin oft da hingegangen, um mit Alex zu plaudern.

 

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Insofern ging Ihre Zusammenarbeit also eigentlich von Ihnen aus. Sie waren der Fan.

Ich war ein Bewunderer, ein Freund. Es war einfach so, wie wenn man sich mit einem Nachbarn hinsetzt und einander fragt: «Welchen Song könnten wir spielen, den wir beide kennen?» «Wie wäre es mit Till the End of the Day?» So ähnlich war das auch bei «Waterloo Sunset» mit Jackson Browne. Ich dachte mir, der ist doch ein Singer/Songwriter aus dem südlichen Kalifornien. Ich liebe sein Werk, aber ich verstand nicht, was er mit diesem Song wollte, bis wir uns zusammen hinsetzten und das Lied sangen.

Als ich gelesen habe, dass Sie auf ihrem neuen Album zu ihren alten Songs zurückkehren, habe ich mich natürlich gefragt, was daran die spezielle Sache sein soll. Schliesslich haben Sie das schon zuvor getan, zum Beispiel auf ihrem Storyteller-Album, und es gibt reichlich Tribute-Alben anderer Leute. Aber dann habe ich realisiert, dass die «Friends» in See My Friends nicht unbedingt die Musiker, sondern ihre Songs sind. Und dass Sie ihre alten Freunde an jenen Orten besuchen, die sie in den Welten anderer Musiker bewohnen.

#-#IMG2#-#Ja, es ist ein bisschen so. Aber es ergab sich von selbst. Die Leute begannen bei mir anzurufen. Nach der Sache mit Alex habe ich mit Lucinda Williams A Long Way From Home aufgenommen, und dann ist die Metallica-Sache passiert, nachdem wir diesen grossen Gig in New York zusammen gespielt hatten. Die Entstehungsgeschichte dieser Version von You Really Got Me war besonders lustig. Metallica spielten in einer riesigen Halle in Oslo. Sie haben auf ihren Tourneen immer ein mobiles Studio mit dabei, also haben wir das dort erledigt. Danach sass ich wegen der Aschewolke über Island in Oslo fest, also hab ich mir ein Taxi von Dänemark durch Deutschland und Frankreich bis zur Fähre nach Calais genommen. Es hätte nur ein einfacher Flug sein sollen und wurde zu einer Reise durch Europa. Ganz simpel lief es dagegen mit Black Francis [Ex-Pixies, Anm.]. Er kam einfach auf dem Weg zu seinem Gig vorbei. Er hatte This Is Where I Belong schon einmal gecovert, kannte den Song also bereits. Das grösste Problem hatten wir mit der Entscheidung, ob er stehen oder sitzen sollte. Das war eine halbstündige Diskussion. Das Einspielen des Songs dauerte dann nicht viel mehr als drei Minuten.

War Ihnen die Musik der Pixies eigentlich geläufig?

Oh ja! Der Gig, den Frank an jenem Abend zu spielen hatte, war sogar eine Pixies-Reunion, und ich hätte gerne die ganze Band dabei gehabt, aber es war nicht möglich. Im Nachhinein melden sich jetzt alle möglichen Leute, die gern dabei gewesen wären. Pete Townshend hat mir neulich eine e-Mail geschickt. Vielleicht mach ich noch ein, zwei Songs mehr für die amerikanische Ausgabe, die später herauskommt.

Townshend hat vor zwei Jahren besonders schwärmerische Linernotes zur Wiederveröffentlichung Ihres lange vergessenen Meisterwerks The Kinks are the Village Green Preservation Society aus dem Jahr 1968 geschrieben. Können alte Rivalen sich erst im Alter ein bisschen Grosszügigkeit leisten?

Grosszügigkeit ist etwas sehr Ungewöhnliches in diesem Geschäft. Ich kann mich aber daran erinnern, wie wir einmal in Chicago als Vorgruppe für The Who gespielt haben. Es war unser Amerika-Comeback 1969. Nach der Show kam er zu mir und sagte: «Nichts, was ich getan habe, wäre ohne die Village Green Preservation Society möglich gewesen.» Er bezog sich dabei auf Tommy und die Form des Konzeptalbums. Er sagte das natürlich nur zu mir und nicht in aller Öffentlichkeit, aber ich empfand ihn damals als grosszügigen Typen. Es ist noch nicht klar, was wir zusammen machen werden. Er will mit mir ein paar Ideen besprechen. (Lächelt verschmitzt) Er will sicher nicht All Day and All of the Night aufnehmen, denn der wäre dann doch zu ähnlich zu I Can't Explain.

 

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Diese Spitze konnten Sie sich auch nach all den Jahren jetzt nicht verkneifen...

Nein. Es war jedenfalls interessant, mit all diesen verschiedenen Leuten zusammenzuarbeiten. Alle waren sehr offen eingestellt. Ich weiss, dass auf diesem Album viele Klassiker drauf sind, aber es gibt da auch ein paar Überraschungen. Mumford & Sons wollten zum Beispiel This Time Tomorrow aufnehmen, das ist ein ziemlich unbekannter Song. Und dann wollten sie auch noch Days machen. Also haben wir uns entschlossen, die beiden Songs zu kombinieren. Wir hatten viel Spass miteinander. Bruce Springsteen schlug mit Better Days auch einen unerwarteten Song vor. Das fühlte sich frisch an, eine echte Erleichterung für mich.

Bei Ihren diversen Comeback-Shows haben Sie sich zum Frust ihrer fanatischeren Anhängerschaft gern auf die erprobten Hits konzentriert. Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie nun auch live ein paar verschüttete Perlen ausgraben?

Ja, das wäre wunderbar. Das ist eine der Ideen, die dieses Projekt in mir ausgelöst hat. Ich würde gern ein paar Songs wie Sitting In My Hotel oder This Time Tomorrow wieder aufgreifen. Das sind Songs, auf die ich als Autor wirklich stolz bin.

Ihnen ist doch sicher auch bewusst, dass einige der Namen auf Ihrem Album für Augenrollen gesorgt haben. Bei Bon Jovi zum Beispiel kommt der Indie-Gemeinde die Galle hoch, während die Amerikaner sich fragen werden, wer zum Teufel diese Mumford & Sons sein sollen. Hat das etwas mit der regional unterschiedlichen Wahrnehmung der Geschichte der Kinks zu tun?

Ja, das liegt eindeutig daran, dass wir in Amerika in den Sechzigern vier Jahre Auftrittsverbot hatten [je nach Geschichtsschreibung wegen grober Raufereien auf der Bühne, Auseinandersetzungen mit einem Veranstalter oder mit der amerikanischen Musikergewerkschaft, Anm. des Verf.] und dann bei unserer Rückkehr alles von Grund auf noch einmal aufbauen mussten. Für die Classic Rock-Generation waren wir eine neue Band. Deswegen wollte Billy Corgan auch Destroyer aufnehmen, das war in den USA ein Top 40-Airplay-Song, als er mit dem Musikmachen anfing. Wahrscheinlich erklärt das auch, warum Bruce [Springsteen] ausgerechnet Better Thing singen wollte.

 

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Die Nummer klingt nun plötzlich nach einem Bruce Springsteen-Song.

Wir standen zu zweit vor einem Mikro und sangen uns die Köpfe vom Hals. Am Schluss klingt das fast schon opernhaft, wie sich unsere Stimmen überkreuzen. Ich hatte aber vorher mit ein paar erstklassigen New Yorker Session-Leuten im Electric Ladyland-Studio ziemlich hart an einem möglichst Springstonian Arrangement gearbeitet. Es ist also nicht nur eine Hommage der Künstler an meine Songs, sondern auch meine Hommage an sie. Die Gary Lightbody-Version von Tired of Waiting for You versuchte ich auch an den Stil seiner Band Snow Patrol anzulehnen. Paloma Faith wollte Lola machen, was gerade für ein Mädchen eine ziemlich mutige Wahl ist, weil es da ja um eine Drag Queen geht. Sie hat diesen Touch wie eine junge Bessie Smith oder Billie Holiday. Sowas mag ich. Wir haben uns dabei gut angefreundet und jetzt auch ein paar Songs zusammen geschrieben.

Neue Songs klingt gut. Ich gehöre ja zu jenen, denen Ihr letztes Solo-Album Working Man’s Café sehr gut gefallen hat.

Mir auch. Working Man’s Café war für mich ein künstlerischer Erfolg, weil es sich mit Themen auseinandergesetzt hat, die mir sehr am Herzen liegen. Ich habe jetzt ein neues Projekt begonnen, und zwei oder drei Songs daraus sind schon fertig. Ich habe auch schon vier Demos mit [Kinks-Schlagzeuger] Mick Avory aufgenommen.

Es war ziemlich traurig, vom Tod des Original-Kinks-Bassisten Pete Quaife im vergangenen Juni zu hören.

Furchtbar. Pete wollte auf See My Friends mitspielen, aber er war auf Dialyse, was das  Reisen für ihn sehr schwer machte. Wir werden hier im Studio einen kleinen Tribut-Abend für ihn veranstalten.

Und wie weit ist Ihr Bruder Dave davon entfernt, wieder live mit den Kinks spielen zu können [Kinks-Gitarrist Dave Davies erlitt 2006 einen Schlaganfall und ist seither rekonvaleszent]?

Nicht mehr weit. Es ist jetzt alles nur mehr eine emotionale Frage. Das Problem ist in seinem Kopf. Er muss seinen Kopf in Ordnung kriegen, um das ordentlich anzugehen. Ich hoffe, dass er es schafft. Nicht nur für die Hardcore-Fans, sondern auch für Dave selbst, weil ich glaube, dass es eine gute Fussnote für ihn wäre.

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Ray Davis. See My Friends (Universal)

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