1. August 2011

Aktuelle Fantasy-Comics

Germanen, Busenwunder und der Gottseibeiuns

Fantasy-Comics verkaufen sich immer gut, zurzeit boomen sie jedoch geradezu. Ein Blick auf das derzeitige, vorwiegend frankophone Fantasy-Comicschaffen.

Von Hans Keller

Ein Frosch namens Garulfo will partout Mensch werden. Er küsst eine vermeintliche Prinzessin und verwandelt sich natürlich in einen Prinzen. Was sowenig gut geht, wie in den Thorinth-Bänden der Versuch einer Zauberin, in einem unterirdischen Reich durch einen von ihr geschaffenen, schwabbeligen Klumpen das Bewusstsein sämtlicher anwesenden Kreaturen einsaugen zu lassen. Dagegen ist es im grässlichen Mythos Arawn – Werbeslogan «Die Biografie des Teufels» – dem Sohn einer kurvenreichen, sich allein durch eisige Gefilde kämpfenden Amazone gelungen, zum Herrn der Hölle hinauf- respektive hinabzusteigen. Klapp, das Buch zu, und lieber weiterverfolgen, wie es im zweiten Band Garulfo ergeht, der, von den Menschen enttäuscht, sich wieder in einen Frosch verwandelt hat. Fazit: zum exzessiven Konsum aktueller Fantasy-Comics gehört Aspirin.

Unsterblich

Mit Fantasy-Comics ist es wie mit der Country-Musik: beides ist nicht tot zu kriegen. Ergo muss man damit leben. Obschon es Fantasy gibt, seit Literatur und bildende Kunst existieren und man beachtliche Teile der altchinesischen und altindischen Erzählungen sowie auch Homers Odyssee durchaus als Fantasy einstufen kann, ist doch der Ursprung von Fantasy im engeren Sinne vor allem in der Romantik zu suchen. Schon im 18. Jahrhundert wurde das Genre durch die englischen Gothic Novels vorbereitet, die im deutschen Sprachraum als «Schauerromane» populär wurden. Die direkten Wurzeln von Fantasy gründen jedoch in den Werken von E.T.A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, in Mary Shelleys Frankenstein, Bram Stokers Dracula und dergleichen mehr.

Um ein bisschen von diesen Gemeinplätzen weg zu kommen, sei hier ein wichtiger Fantasy-Vorreiter genannt: der deutsche Romantiker Friedrich de la Motte-Fouqué (1777-1843). Neben dem Roman Der Zauberring und zahlreichen Erzählungen, die öfters in nordischen Gefilden angesiedelt sind, ist es vor allem sein Kunstmärchen Undine (1811) um eine Wassernixe, die einen Menschen liebt, jedoch wegen dessen Untreue wieder in die Fluten zurück muss, dessen Szenen nicht selten wie heutige Fantasy anmuten. Ein Beispiel: «Damit lachte er, verzerrten Antlitzes, zum Wagen herein, aber der Wagen blieb nicht Wagen mehr, die Schimmel nicht Schimmel; alles verschäumte, verrann in zischenden Wogen, und selbst der Fuhrmann bäumte sich als eine riesige Welle empor, riss den vergeblich arbeitenden Hengst unter die Gewässer hinab und wuchs dann wieder, und wuchs über den Häuptern des schwimmenden Paares wie zu einem feuchten Turme an und wollte sie eben rettungslos begraben.»

Eskapismus

#-#IMG2#-#Solches könnte, in Bildsequenzen umgesetzt, eins zu eins aus einem aktuellen Fantasy-Comic stammen. Zum Beispiel aus dem ersten Band (Die Stadt, die zum Himmel spricht) der neueren, an Manga erinnernden Serie Die Legende der scharlachroten Wolken von Saverio Tenuta. Hier sausen Unterarme als Schattenrisse aus realen Körpern, in Kämpfen lösen sich die Izunas genannten weissen Wölfe in Bündel von Actionlinien auf, die wie Schneestürme dahinfegen. Rote Malfarbe, Blut und purpurne Ahornblätter vermengen sich und sind kaum voneinander zu unterscheiden: schaurige Mutationen sowohl im Werk des Romantikers de la Motte-Fouqué als auch beim brillanten italienischen Comiczeichner Tenuta.

Ein gewisser Hang zu Fantasy lässt sich bereits bei den allerfrühesten Comics feststellen, die Grenzen zwischen den Sparten sind fliessend. Die erste Science-Fiction-Comicserie Buck Rogers (ab 1929) und dann wenig später vor allem das Flash Gordon-Universum (ab 1934) mit seinen aus antiken Kostümen, Rittersagen und futuristischen Blechträumen zusammengezimmerten Mythen entführen den Leser in phantastische spaziale Welten und somit weg vom Alltagstrott – zumindest  in der Imagination. Dieser Eskapismus, die durch Comics angeregte Flucht in Traumwelten, ist gewichtiger Bestandteil jedweder Fantasy-Philosophie. Selbst dort, wo in Brutalo-Szenen scheinbar realistisch auf den Die-Welt-ist-schlecht-Groove hingewiesen werden soll, löst das beim Fan höchstens ein Huch-wie-grässlich-gottseidank-nur-ein-Comic-Gefühl aus.

Einer der wichtigsten Grundpfeiler der heutigen europäischen Fantasy-Comics dürfte das Epos Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit (1982) der Franzosen Régis Loisel und Serge Le Tendre sein. Es scheine, so der Comicologe Andreas. C. Knigge, die beiden hätten sich vorgenommen, das babylonische Gilgamesch-Epos mit Tolkiens Herr der Ringe zu kreuzen. Was nach dem Vogel praktisch für sämtliche Euro-Fantasy-Comics charakteristisch wurde: die respektlose, im besten Fall jedoch kreative Vermischung unterschiedlichster Mythen mit Eigenem. Gleichzeitig besticht die Vogel-Story, in welcher der machtlüsterne Gott Ramor durch einen Zauberspruch gebannt werden soll, erfrischend durch Ironie und Humor: der Zauberspruch ist dermassen lang, dass sein Herunterleiern zuviel Zeit beanspruchen würde, um Ramor bannen zu können. Der Vogel der Zeit muss daher gefunden werden.

Mutationswildwuchs

Ansonsten breitet der Vogel der Zeit – um bei diesem prägenden Beispiel zu bleiben – die für viele späteren Fantasy-Comics typischen Szenarien aus: wilde Berglandschaften, bizarre Städte und Mangrovendschungel, durch welche sich die Helden der Geschichte samt der rothaarigen und leichtgeschürzten Pelissa kämpfen und schlagen.

Mythen oder Historisches, platte Philosophien, Mutationen, Cyborgs, Evolutionsphantasien und meist eine gehörige Portion Sex: auch die meisten neuen Fantasy-Comics enthalten diese und mehr einschlägige Ingredienzien in irgendeiner Form. Am interessantesten sind jedoch bis dato jene Serien, die einen im Sinne des Vogel der Zeit mit Witz und Humor unterhalten. Wie das eingangs erwähnte Garulfo-Epos vom Szenaristen Alain Ayroles und dem Zeichner Bruno Maïorana. In den späten 1990er-Jahren entstanden, erschien es bei Splitter erst kürzlich in drei Bänden erneut auf deutsch. Im Plot wird geschickt mit stereotypen Märchenmustern jongliert, die Gags sind einfallsreich und überraschend. Etwa dort, wo der Frosch als Prinz seinen besten Freund, den Erpel Fulbert, als Braten vorgesetzt bekommt und sich bald darauf entschliesst, den Menschen den Rücken zu kehren und wieder Frosch zu werden. Ein monströser Oger entführt die umworbene Prinzessin, tut ihr aber kein Leid an, sondern verliebt sich in sie. Hier klingen sowohl Der Glöckner von Notre-Dame, The Beauty and the Beast als auch King Kong an, der Comic bleibt jedoch eigenständig genug, um zu fesseln. Ähnlich innovativ gehen Ayroles und Maïorana in der brandneuen Serie D mit dem Vampirismus um, einem doch sehr überstrapazierten Thema. Bestechend vor allem die stimmungsvolle Inszenierung der Atmosphäre im viktorianischen London.

Behämmert aber schön

Ausnahmeleistungen wie Garulfo und D stehen bierernste und inhaltlich eher behämmerte Werke gegenüber. Etwa das erfolgreiche Einhorn mit seinen virtuosen Bildern und dem ziemlich an den Haaren herbeigezogenen Plot. In einem geheimnisvollen Labor in Mailand werden durch Mikroben ausgelöste menschliche Mutationen fabriziert. Die Seuche lässt sich nur durch Pulver des Einhorn-Hornes stoppen, das sich – seufz – im Besitz der Kirche befindet. Allerdings: brillant bebildert, im aktuellen dritten Band schweben verkürzte und gedrechselte Gestalten wie bei Tintoretto über Venedig. Mit einer Krankheit beschäftigt sich auch die brandneue Serie Die Bruderschaft der Krabbe: Infizierten Kindern wachsen Krabben in allen möglichen Organen des Körpers heran. Eine optisch effektvoll in Szene gesetzte Variante der Krebs-Thematik.

Anders Sukkubus, dessen erster Band vor kurzem erschienen ist. Hier wird in klaren Bildern und erzählerisch übersichtlich darüber phantasiert, wie die französische Revolution und insbesondere Robespierre aus dem Untergrund durch illuminatische Umtriebe und vor allem von den «Töchtern der Lilith» feministisch ferngesteuert werden. Die nicht gerade innovativen Ideen sind erzählerisch recht überzeugend inszeniert. Vergleichbar ist solches mit dem aktuellen Effort Der schreckliche Papst des bekannten Szenaristen Jodorowsky und des Zeichners Theo, der sich um die haarsträubenden Machenschaften des Rennaissance-Papstes Julius II dreht. Es fragt sich, ob sich die an sich interessante Beugung historischer Fakten durch Comic-Fiktion angesichts des dürftigen Bildungsstandes bei grossen Teilen der Jugend nicht in Form falscher Informationen als kontraproduktiv auswirkt.

Irgendwie sind einem da Epen wie Götterdämmerung lieber, die zum Vornherein von Sagen-Fiktion ausgehen. Die auf sieben Bände angelegte Nibelungen-Phantasmagorie verbindet absolut clever die drei Quellen der Edda, des Nibelungenliedes und von Wagners Ring des Nibelungen miteinander. Optisch durchaus attraktiv und manchmal fast kinderbuchartig fabuliert, wird hier stimmig und nie moralisierend durch die von Betrug, Hinterlist und Machtgier geprägte Götterwelt der Germanen geführt, die sich in ihrer oft perfiden Niedertracht kaum von der menschlichen Gesellschaft unterscheidet.

Überzeugende und frei erfundene Fantasy, die sich nicht auf Mythen oder Märchen stützt ist relativ rar. In Serien wie Arawn oder dem immerhin schön bebilderten Thorinth werden zu oft aus Filmen, Computergames und dergleichen bekannte Muster wiedergekäut. Bei den Monstern kommt kaum jemand an Alien vorbei, schnuckelige kleine Tierchen begleiten die Helden und sorgen für einen «Jö»-Effekt. Wer sich auf diesen eingefahrenen Schienen bewegt, hat zwar stets sein Publikum, es braucht jedoch kreative «Entgleisungen», um das Genre weiterzubringen. Womit wir wieder bei Tenutas Die Legende der scharlachroten Wolken wären: die Geschichte um einen Ronin, der auf der Suche nach seinem Gedächtnis durch ein verschneites Japan irrt, setzt mit ihrem «ostasiatischen Expressionismus» neue Normen und – das soll Fantasy vor allem – unterhält durch rasante Action und optischen Reiz.

 

#-#SMALL#-#Alain Ayroles/Bruno Maïorana: Garulfo

Alain Ayroles/Bruno Maïorana: D

Nicolas Fructus: Thorinth

Roman Le Breton/Sébastien Grenier: Arawn – Band 4 Der Blutkessel erscheint im Oktober 2011, CHF 25,40/€ 13,80

Saverio Tenuta: Die Legende der scharlachroten Wolken

Mathieu Gabella/Anthony Jean: Das Einhorn

Mathieu Gallié/Jean-Baptiste Andreae: Die Bruderschaft der Krabbe

Thomas Mosdi/Laurent Paturaud: Sukkubus – Band 2 Roxelane erscheint im November 2011, CHF 25,40/€ 13,80

Alexandro Jodorowsky/Theo: Der schreckliche Papst– Band 2 Julius II erscheint im Oktober 2011, CHF 25,40/€ 13,80

Nicolas Jarry/Djief: Götterdämmerung – Band 5 Kriemhild erscheint im August 2011, HC, 48 Seiten, CHF 25,40/€ 13,80

 

Alle obigen Werke auf Deutsch erschienen im Splitter-Verlag

Vertrieb in der Schweiz: Kaktus 

 

Serge Le Tendre, Régis Loisel: Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit, Carlsen Verlag#-#SMALL#-#


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