23. Mai 2012

DOSSIER: TIM BURTON – Porträt eines Unangepassten

«Ich spare mir das Geld für den Therapeuten»

Seine Filme sind wie ein Blick ins Unterbewusstsein ihres Schöpfers. Wie kaum ein anderer hat es Regisseur Tim Burton geschafft, sein Werk als Ausdruck seiner Persönlichkeit zu gestalten und dabei grosse Erfolge zu feiern. Und dies inmitten Hollywoods kompromissloser Traumfabrik. Ein Porträt des rastlosen Künstlers und ein Einblick in sein Denken und seinen Humor anhand eines kurzen Gesprächs.

Von Rudolf Amstutz
Im Gespräch mit Johnny Depp während den Dreharbeiten zu «Dark Shadows». © 2012 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.

#-#QUOTE#-#He is an artist, a genius, an oddball, an insane, brilliant, brave, hysterically funny, loyal, nonconformist, honest friend.

Johnny Depp#-#QUOTE#-#

 

Man braucht Tim Burton nicht persönlich zu kennen, um zu wissen, wer er ist. Die Antwort auf die Befindlichkeit des Künstlers liegt in seinem Werk. Eine zwar lapidare Erkenntnis, doch alles andere als selbstverständlich, wenn man von einem Mann spricht, der dies in Zusammenarbeit mit den grossen Studios Hollywoods zustande gebracht hat. Ausgerechnet in der sogenannten Traumfabrik, in der die individuellen Träume anhand von Budgets und Massentauglichkeit oft in einen kollektiven Albtraum münden, hat sich Burton selber verwirklichen können.

Aufgewachsen ist er in Burbank, einem Vorort von Los Angeles. Einer dieser ganz und gar tristen Agglomerationshaufen, in denen die Einfamilienhäuschen nicht voneinander zu unterscheiden sind. An solchen Orten wird Konsens vorgetäuscht und Individualismus geächtet. Burton war ein Einzelgänger, der nie eine intime Beziehung mit den Eltern aufbauen konnte. Mit zwölf Jahren zog er zur Grossmutter.

Burton ist das klassische Beispiel eines Aussenseiters. Bei körperlichen Berührungen zuckte er lange zusammen und in der Schule hatte er keine Freunde. Und wie er 2010 im Dankeswort zu seiner grossen Retrospektive seines zeichnerischen Werks im New Yorker MoMA schrieb (siehe Beitrag in diesem Dossier), sah er in seiner Jugend auch nie ein Museum von innen. In Burbank sind zwar die Walt Disney Studios angesiedelt, aber klassische kulturelle Institutionen gab es da nicht. Burton floh in eine Welt, die nicht nur anders war, sondern ihm auch Antworten über seine Befindlichkeit liefern konnte: TV-Serien, Comics, Gruselfilme und Science Fiction-Abenteuer. Und weil er sich verbal nur schlecht verständlich machen konnte, begann er zu zeichnen.

#-#IMG2#-#Zum Glück kümmerte sich zu dieser Zeit kaum einer um ihn. Anhand seiner Zeichnungen wäre unter normalen Umständen ein psychiatrisches Gutachten nicht zu vermeiden gewesen. Seine kleinen niedlichen Puppen hatten Nägel in den Augen oder waren zusammengesetzt als wären sie Frankensteins Labor entwichen. Als er nach der Kunstschule einen Job als Zeichner bei Disney fand, hätte er nichts anderes tun sollen, als niedliche Füchse zu zeichnen. Doch gemäss seiner eigenen Aussagen, sahen sie alle aus, «als hätte sie ein Auto überfahren».

Doch in dieser kommerziell ausgerichteten Umgebung wurde auch sein Talent erkannt. Man sah, dass da einer seinen künstlerischen Tummelplatz an der Schwelle zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt gefunden hatte. Die Traumata, die er in seinen Bildern verarbeitete, hatten erstaunlicherweise nichts Dekonstruktives an sich. Trotz ihrer Verstümmelungen und Gebrechen strahlen Burtons Figuren eine Wärme und eine Herzlichkeit aus. Alle sind sie Aussenseiter, stossen auf Unverständnis und trotzen der Normalität. Doch sie zerstören nicht. Rache ist ihnen fremd. Am Ende schreien sie nur um Liebe.

Und diese Befindlichkeit hat Burton in den vergangenen 25 Jahren visualisiert. Ob in «Edward Scissorhands», «Charlie and the Chocolate Factory», «Batman Returns», «Nightmare Before Christmas», «Big Fish» oder «Ed Wood». Es sind geistreiche, witzige und ironische Umsetzungen der von ihm einst durchlebten Dysfunktionalität. Dabei überwiegt aber das staunende Kind im Manne, das in einer morbiden Umgebung oder einer degenerierten Welt mit Hilfe seiner Fantasie zu überleben weiss.

Der folgende Auszug eines Gespräch, das der Autor im Rahmen der Veröffentlichung des Films «Big Fish» mit Tim Burton im November 2003 im New Yorker «Waldorf Astoria» führen konnte, gibt Einblick in sein Denken, seine Motivation und seine Arbeitsweise:

Tim Burton, Sie und Helena Bonham Carter sind kürzlich zum ersten Mal Eltern geworden. Was ist das für ein Gefühl für einen Mann wie Sie, der für sein eigenes Leben und seine Arbeit das Kind im Manne so perfekt erhalten hat?

Ich war ja bei der Geburt zugegen. Es ist schon komisch, da geht man durchs Leben und die Leute erzählen einen, was für ein komischer Kauz man sei und dann geschieht dies: vielleicht der fremdartigste, natürlichste und gleichzeitig unnatürlichste Vorgang, der mir je in meinem Leben passiert ist. Ich war völlig unvorbereitet auf den emotionalen Einschlag, der eine Geburt auf einen hat.

Unnatürlich? Wie meinen Sie das?

Nun ja, es hat was von einem Alien Movie (lacht). Es ist einfach völlig schräg.

Ihre Filme erinnern eher an Märchen für Erwachsene.

Märchen für Erwachsene? Das klingt wie ein Begriff, der sich die Pornoindustrie ausgedacht hat. Pinocchio für Erwachsene (lacht). Nein, im Ernst. Mich interessiert der Schnittpunkt zwischen Realität und den Dingen, die ausserhalb unserer sogenannten Realität geschehen. Für mich lässt sich die Wirklichkeit oft besser in der surrealen Welt abbilden, denn in einem Film, der unsere Wirklichkeit vortäuscht.

In «Big Fish» geht es um das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Sie haben mal gesagt, dass Sie kein enges Verhältnis zu Ihrem Vater hatten.

Egal ob eng oder nicht eng. Die Krankheit eines Elternteils oder der Tod kommen immer wie ein Schock über das Kind. Mit «Big Fish» hatte ich tatsächlich die Gelegenheit mein eigenes Verhältnis mit Hilfe meiner Arbeit zu bereinigen. Und das ist gut so, man kann sich so das Geld für einen Therapeuten sparen.

All Ihre Filme sind auf eine ganz spezielle Art persönlicher Natur.

Ich muss meine Filme personalisieren. Es ist die Art, wie ich zu Menschen spreche. Sie müssen wissen, ich war nie ein guter Redner und schon gar nicht, wenn es um meine Gefühle geht. Der Film ist meine Sprache, damit kann ich meine Gefühle nonverbal vermitteln.

Bevor Sie einen Film drehen, zeichnen Sie die Akteure oder malen ganze Szenen.

Das ist mein Stil. Es hilft mir, den Personen näherzukommen. Aber ich tue dies relativ konzeptlos. Es ist einfach meine Art zu arbeiten, mich den Dingen anzunähern.

Als Kalifornier wohnen Sie nun in London. Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten.

Als ich an «Batman» arbeitete, lebte ich zum ersten Mal in London und es gefiel mir. Ich gehe zum Beispiel gerne zu Fuss durch eine Stadt und ich mag wechselndes Wetter. Und obwohl die Engländer ein seltsames Klassendenken besitzen, scheinen sie doch offener zu sein für Individualisten und Exzentriker. Es fühlt sich einfach komfortabler an. In Los Angeles, speziell im Filmbusiness, wird man immer gleich in Kategorien geschoben. Und das mochte ich schon als Junge nicht, dass andere definieren, wo man hingehört und dich in Schubladen packen.

Schon als Junge hat man Sie in eine Schublade gepackt?

Ich fühlte mich damals extrem losgelöst von der Gesellschaft. Aber ich tat das nicht von mir aus. Sie bestimmten einfach, in welche Kategorie dieser Junge gehört. Und ich fühle in London eine direktere Akzeptanz für einen etwas eigenbrötlerischen Kauz wie mich.

Wie verhielt es sich mit der Akzeptanz in Hollywood als Sie mit «Mars Attacks!» einen kommerziellen Flop landeten?

Das ist der Grund, weshalb ich nach Europa geflüchtet bin (lacht). Nein, eigentlich bin ich ja gesegnet mit grossem Erfolg. Aber der Erfolg lässt sich so wenig voraussagen wie ein Flop. Darüber mache ich mir auch keine Gedanken, wenn ich einen neuen Film mache.

Sie hätten wohl auch nicht gedacht, dass Ihr Alter Ego Johnny Depp als Vierzigjähriger zum «sexiest man alive» gekürt werden würde.

Johnny und ich haben darüber nur den Kopf schütteln können. Vor allem der Zusatz «alive» finde ich toll (lacht). Was kommt als nächstes? Sexy dead people? (lacht).

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