22. Januar 2012

Tom Waits – eine Liebeserklärung in drei Akten

Ein stetes Rocheln

Gäbe es ihn nicht, man müsste ihn erfinden. Tom Waits ist das menschgewordene Plädoyer für das Anderssein. Und seine Kunst ist Musik am Rande des schönsten Nervenzusammenbruchs, den es je gab. Aus Anlass seines neuen Albums «Bad As Me» – ine Liebeserklärung in drei Akten.

von Rudolf Amstutz
The Bathroom Singer: Tom Waits. Foto: © Michael O'Brien

Singen Sie?

Im Badezimmer?

Kein Problem: Tom Waits tut dies auch…

1. Akt: Im Taxi geboren

Eigentlich wünschte man sich, es gäbe ihn nicht aus Fleisch und Blut. Ein Mythos soll er sein. In seiner Existenz dazu da, unsere innersten Wünsche, Sehnsüchte und Ängste zu reflektieren. Einer, der anders ist als alle anderen. Einer, der in die friedlich lächelnde Menge schreit und im Trauermarsch in lautes Lachen ausbricht.

Einer, der die Mode verhöhnt und uns in die Secondhand-Shops lotst. Unseren wahren Charakter gegen die äusseren Umstände verteidigt. Und uns einen weiteren Whisky eingiesst, obwohl doch längst genug wäre.

Man will der Biographie Glauben schenken, die 1973 «Closing Time», dem ersten Album von Tom Waits beigelegt wurde. Darin steht, er sei bereits mit einem Dreitagebart versehen in einem Taxi geboren worden. Und seine ersten Worte, nachdem er das Licht der Welt erblickt hatte, sollen gewesen sein: «Fahren sie mich zum Times Square.»

Der Times Square musste warten. Tom Waits wuchs im ländlichen Kalifornien auf. Und sein ganz persönliches Road Movie lenkte ihn in die dortigen Städte. San Diego. Danach Los Angeles. Ein Troubadour mit Staub an den Stiefeln auf den endlosen Boulevards einer urbanen Twilight Zone. Dort, wo «die gebrochenen Träume» zuhause sind: Spelunken, Bars, schäbige Motels. Der gesammelte Schweiss auf den Kunstledersesseln all der Diners.

Tom Waits hat seinen eigenen Mythos gesucht. Uns gefunden und sich bisweilen selbst verloren. Der Niedergang seines Gesangs, den er auf «Closing Time» noch zum Besten gibt, heimelt dem Hörer. Aber er besiegelte auch den schleichenden Zusammenbruch seines Urhebers. «The Piano has been drinking» hat er einen seiner Songs genannt, während er sich in seiner kurzen Liaison mit der Sängerin Rickie Lee Jones beinahe den endgültigen Whisky zuviel eingegossen hätte.

2. Akt: Die Muse

Vielleicht müssen Helden zuerst vor sich selber gerettet werden, bevor sie uns retten. Zwischen der halbvollen Flasche auf dem betrunkenen Klavier und dem halb entleerten kreativen Protagonisten fand sich zur rechten Zeit am richtigen Ort noch ein Platz. Und der wurde von des Musikers Muse eingenommen. Kathleen Brennan erschien wie ein Geist aus der Flasche. Eine Seelenverwandte. Das fehlende Rückgrat. Die Ordnung im Chaos. Und die Mutter seiner Kinder.

Mit ihr wurde der Times Square zur realen Umgebung. Tom Waits in New York. Das schwarze Loch und der Urknall. Millionen von Einflüssen und einer, der über sie Herr werden wollte. 1983 veröffentlichte das Künstlerpaar «Swordfishtrombones», eine Platte voller Musik, die es noch nie gegeben hatte. Ein Plädoyer für das Anderssein. Musik am Rande des schönsten Nervenzusammenbruches, den man sich vorstellen kann. Als wäre er der Rattenfänger von Hameln führte er seine Gaukler und Dämonen im neugegründeten Klangparadies spazieren. Musik, die flüstert. Musik, die röchelt. Musik, die weinen kann. Und die schallend lacht. Und mittendrin die Stimme wie ein Instrument. «Swordfishtrombones» war ein Statement wider die musikalische Ordnung. Eine Neuordnung der Dinge mit dem Untergrund als höchsten Punkt und der stilistischen Twilight Zone als Hauptstrasse.

Kathleen Brennan, dieses die Öffentlichkeit scheuende Geschöpf, hat den von uns so gewünschten Mythos des gefallenen Engels begraben. Aber es gab keinen Grund, dem versoffenen Barpianisten nachzutrauern. «Swordfishtrombones» ist die eigentliche Geburt des Tom Waits. Des Chronisten des Andersartigen. Jenes Menschen, der von der Journalistin Elizabeth Gilbert so beschrieben wird: «Tom Waits would be America’s Springsteen – if America were a strange dispossessed land of circus freaks.»

3. Akt: Im Badezimmer

Nun: Amerika mag längst «a strange dispossessed land of circus freaks» sein. Und das Amerika von Springsteen ist es auch nicht mehr. Aber die Authentizität des Waitschen Klangkosmos ist dafür umso mehr spürbar. So sehr er in den Filmen, in denen er spielt – von Jim Jarmuschs «Down By Law» über Francis Ford Coppolas «Bram Stoker’s Dracula» bis zu Robert Altmans «Short Cuts» – uns noch wie sein anfänglicher Mythos vorkommen mag, so sehr berührt uns seine Musik als klanglicher Widerhall unserer eigenen Existenz.

Tom Waits und – mit ihm gemeinsam – Kathleen Brennan forschen auf ihrer entlegenen Farm zurück im ländlichen Kalifornien unentwegt an neuen Ausdrucksformen. Die Verweigerung des Handelsüblichen ist die Grundstruktur, auf denen ihre Statements aufbauen. Nichts ist gegeben und alles ist möglich. Mittlerweile stammen die wichtigsten Instrumente, die Waits benutzt, aus dem heimischen Küchenschrank. Das Album «Real Gone» etwa ist ein Konglomerat an Geräuschen. Ein stetes musikalisches Rocheln, in das sich eine Handvoll Songs hineingesetzt hat. Ein Song wie «Hoist That Rag» – ein Brocken dichtester Klangmaterie, eine  Stimme wie Bronchitis im Endstadium und dazu diese wunderbare, taumelnde Gitarre von Marc Ribot, der die New Yorker Lower East Side wie eine Subway durch diesen scheppernden Hobbykeller lenkt. «Real Gone» klingt, als hätte die Musik voller Panik die Kurzwelle verlassen und treibe nun völlig losgelöst zwischen Mittel- und Langwelle durch den Äther, um am Ende in einem kleinen Transistorradio seine Heimat zu finden. Tom Waits hat sich dies in seinem Badezimmer ausgedacht. Und er hat seine Stimme an eben diesem Ort aufgenommen. Also: Singen Sie? In der Badewanne? Kein Problem: Tom Waits tut dies auch. It’s the voice of America!

#-#SMALL#-#Zurück zum Dossierinhalt »

Tom Waits Website »#-#SMALL#-#

» empfehlen:
das projekt hilfe/kontakt werbung datenschutz/agb impressum