20. April 2014

Interview mit Ambrose Akinmusire, Jazzmusiker

«Ich werde nie Musik machen, um den Leuten zu gefallen»

Bereits der Titel des Albums verrät Ungewöhnliches: «The Imagined Savior Is Far Easier to Paint». Die Musik des jungen Jazztrompeters Ambrose Akinmusire ist so eigenwillig und persönlich, dass hinter dem Klang deren Referenzen verschwinden und etwas völlig Neues entsteht. Ein Gespräch mit dem 32jährigen Kalifornier über künstlerische Visionen, soziale Verantwortung und musikalische Einflüsse.

Interview: Rudolf Amstutz
Hat sich sein eigenes Genre geschaffen: der Jazztrompeter und Komponist Ambrose Akinmusire. Bild: © Autumn De Wilde

Die Musik von Ambrose Akinmusire zu beschreiben ist nicht einfach. Der 32jährige Trompeter aus dem kalifornischen Oakland ist mit Hip-Hop, Electronica und Rock aufgewachsen, wurde klassisch ausgebildet und hat dies alles über drei Alben hinweg zu einem eigenen Jazzkosmos verflochten. Tradition und Moderne, Komposition und Improvisation, kammermusikalische Stille und genreübergreifende Dynamik verschmelzen in seiner Musik zu einer singulären atmosphärischen Dichte. Ob Klassik, Jazz, Avantgarde oder Soul – Akinmusires Musik entzieht sich jeglicher Definition. «Prelude…To Cora» (2007) und «When The Heart Emerges Glistening» (2011), seine beiden ersten Alben, legten den Grundstein für sein bislang reifstes Zeugnis: bei seinem dritten Werk «The Imagined Savior Is Far Easier to Paint» ist der Titel Programm. Der poetische Anspruch wird hier zu hörbarer Lyrik – klanglich wie verbal. Sein klassisches Quintett mit Saxophonist Walter Smith, Pianist Sam Harris, Bassist Harish Raghavan und Schlagzeuger Justin Brown hat Akinmusire jeweils pointiert ergänzt: mit dem Gitarristen Charles Altura, dem Osso String Quartet sowie den Gesangsstimmen von Becca Stevens, Theo Bleckmann und Cold Specks. 

Das Interview mit Ambrose Akinmusire fand via Skype zwischen New York und Los Angeles statt.

«The Imagined Savior Is Far Easier to Paint» – der Titel Ihres neuen Albums – hat eine ungemein poetische Qualität. Stand der Titel bereits vor dem Album fest oder ist er eher als eine Zusammenfassung des bereits Eingespielten zu verstehen?

Bei meinen beiden ersten Alben standen die Titel vor der Einspielung fest, diesen hier habe ich erst nachträglich ersonnen. Natürlich hat er für mich ganz persönlich sehr viel mit der Musik zu tun, mehr möchte ich allerdings nicht verraten. Ich möchte, dass die Hörerin und der Hörer ihrer eigenen Fantasie und Vorstellungskraft freien Lauf lassen. Wenn ich zuviel verrate, schränke ich den Interpretationsfreiraum unnötig ein. 

Ihnen ist ein Album gelungen, das von zahlreichen Fachleuten bereits jetzt als potenzielle «Platte des Jahres» gehandelt wird.

Das freut mich enorm, aber gleichzeitig existieren auf dem Markt eine Menge kommerziellere Platten, die ausserhalb der Fachwelt die ganze Aufmerksamkeit für sich beanspruchen…

Ist es in der digitalisierten Medienwelt schwieriger geworden, diese Art von Musik mit Hilfe traditioneller Wege an die Öffentlichkeit zu bringen?

Definitiv. Aber nicht nur die Wege haben sich verändert, sondern auch sehr viele Musiker. Sie beschäftigen sich nicht mehr so sehr mit dem Handwerk oder mit der Kunstform an sich, sondern sind sehr schnell bereit, etwas für Geld zu tun. Ich denke, auch dies ist mit ein Grund dafür, dass sich seriöse Konsumenten abwenden und nicht mehr soviel Platten kaufen oder in grosser Zahl an die Konzerte kommen. Ich sehe das Problem auf beiden Seiten.

Ein interessanter Aspekt auf Ihrem Album ist, dass Sie bei vielen Songs Namen von Menschen angefügt haben. Was hat es mit diesen Personen auf sich?

Bevor ich die Songs schreibe, denke ich mir Geschichten aus. Ich will, bevor ich die erste Note aufschreibe, soviele nichtmusikalische Inhalte auf dem Tisch haben wie nur möglich. Und diese Inhalte sind bei mir mit Menschen verbunden. Mal geht es um fiktive Personen, mal sind diese real. Bei «As We Fight (Willie Penrose)» geht es um einen fiktiven Veteranen, bei «Our Basement (Ed)» um einen real existierenden Obdachlosen und bei «Asiam (Joan)» um Joni Mitchell, deren Musik ich bewundere und die für mich eine unablässige Inspirationsquelle darstellt.

Nun beweisen Sie eindrucksvoll, dass man mit instrumentaler Musik eine unglaubliche Stimmung erzeugen kann. Sobald allerdings Stimmen und Worte hinzukommen, wird Musik spezifischer. Bei vier der insgesamt 13 Stücke sind Worte zu hören – Sie haben dafür mit Becca Stevens, Theo Bleckmann und Cold Specks zwei Sängerinnen und einen Sänger eingeladen. Was waren die Hauptgründe dafür?

Der Grund ist simpel. Ich mag Sänger. Während dem Komponieren summe ich oft die geschriebenen Passagen. Die geschriebenen Töne werden also erstmals durch eine menschliche Stimme hörbar. Ich höre stets Stimmen in meiner Musik. Zudem ist der Stimmeinsatz nichts Neues, auf meinem allerersten Album benutzte ich bereits eine Opernstimme. Ich bin allerdings nicht unbedingt mit der Behauptung einverstanden, dass Musik durch Worte spezifischer wird. Manchmal lässt sich dadurch das Ganze noch mehr abstrahieren. Musik erreicht auf direktem Weg die Gefühle eines Menschen, Worte dagegen landen zur Bearbeitung zuerst im Hirn. 

In der Tat sind die drei gesungenen Stücke eher poetischer Natur.

Ja. Ich bewundere Becca, Theo und Cold dafür, dass sie für sich ein eigenes Universum kreiert haben. Wenn ihres dann mit meinem kollidiert, dann entsteht diese einzigartige gegenseitige Inspiration. Ich liebe dies ungemein. 

Ist es eigentlich schwieriger als Solist an der Seite eines Sängers zu spielen?

Das werde ich immer wieder gefragt. Nein, es macht keinen Unterschied, ob ich als Trompeter nun einen Sänger an meiner Seite habe oder ein zweites Blasinstrument. Das Problem ist nur, dass viele instrumentale Solisten im Jazz keine Rücksicht auf die Sänger nehmen. Ich habe aber Gesang immer geschätzt. Ich höre viel Billie Holiday, Sarah Vaughn oder Ella Fitzgerald. Aber ich liebe auch gute Popstimmen, etwa Christina Aguilera oder skandinavische Stimmen wie Hanne Hukkelberg – und natürlich Joni Mitchell.

Sie haben erwähnt, dass Worte oft abstrakter sein können als Töne. Doch im Falle des Stücks «Rollcall for the Absent» sind die Worte alles andere als abstrakt. Es ist eine Hommage an all jene, die in den USA durch unnötige Waffengewalt sterben mussten: Oscar Grant etwa, dessen Geschichte von Regisseur Ryan Coogler mit «Fruitvale Station» verfilmt wurde, oder der Teenager Trayvon Martin, der in Florida erschossen wurde.

Der Inhalt besteht nicht im eigentlichen Sinne aus Worten, vielmehr ist es eine Auflistung von Namen. In diesem Fall verspürte ich eine Art Verantwortung, mich diesen Ereignissen anzunehmen, ein Licht darauf zu werfen und auch zu vermitteln, mit welcher Angst wir jungen Afroamerikaner heute im Alltag zu leben haben. Ich hatte Oscar Grant auf meinem vorherigen Album bereits einen Song gewidmet, weil ich und Oscar aus der selben Nachbarschaft in Oakland stammen. Es gibt gewisse Kritiker, die «Rollcall For The Absent» prätentiös genannt haben, aber ich habe mittlerweile viele Leute getroffen, die positiv auf den Song reagiert haben. Dieses Stück gibt mir Gelegenheit, auf diese Missstände aufmerksam zu machen und eine Diskussion zu lancieren. Dass ich zurzeit meine Platten auf einem legendären Label wie Blue Note veröffentlichen darf, heisst auch, dass ich an eine breitere Öffentlichkeit herankomme. Und weshalb soll ich diese Plattform nicht nutzen, um auf gewisse Dinge aufmerksam zu machen? Ich denke, dass dies auch zur Verantwortung eines Künstlers gehört. Man repräsentiert nicht nur sich selbst, sondern auch das Umfeld, die Menschen und der Ort, an dem man aufgewachsen ist – allesamt Faktoren, die dafür verantwortlich sind, was aus einem geworden ist.

Es ist schon verrückt, welchen Einfluss die Waffenlobby in den USA hat. Das Gesetz «Stand Your Ground», das in Florida existiert, erlaubt es im Prinzip jedem, ohne gesetzliche Konsequenzen eine andere Person zu erschiessen.

Das ist in der Tat so! Ich bin mittlerweile soweit, dass wenn ich im Auto sitze und eine Polizeistreife mich zum Anhalten auffordert, ich es mit der Angst zu tun bekomme und Fluchtgedanken entwickle. Das Schlimme daran ist nicht nur die Tatsache, dass man der Polizei nicht mehr traut, sondern dass man als Schwarzer dabei auch noch ein schlechtes Gewissen verspürt, ohne überhaupt einen Anlass dafür zu haben. Über dieses Grundgefühl, das man uns durch diese alltäglichen Vorfälle langsam aber stetig eingetrichtert hat, bis es Teil des Bewusstseins geworden ist, wird meiner Meinung nach viel zu selten gesprochen. Kommt hinzu, dass die weisse Bevölkerung uns dies auch kaum glauben kann. Und es ist in der Tat für Nichtschwarze schwer nachzuvollziehen. Viele denken, mit der Wahl von Barack Obama hätte sich der Rassismus erledigt. Obama ist kein Superman, der mit seiner Anwesenheit ein Problem, das Hunderte von Jahren besteht, einfach ausradieren kann.

Wenn wir schon bei der Politik sind: wie sehen Sie denn die Lage Ihrer Nation?

Die extreme Haltung der Rechten macht mir Sorgen. Gerade der Nachrichtensender «Fox News», der sich nicht an Fakten hält und eine eigene «Wahrheit» kreiert hat und diese konsequent dem Publikum eintrichtert, macht mir Angst – gerade auch im Hinblick auf die nächsten Wahlen. Was Obama betrifft: natürlich gibt es Aspekte, bei denen man das Gefühl hat, er hätte einen hängen lassen, auch weil die Erwartungen so hoch waren. Doch was die langfristigen Veränderungen der amerikanischen Gesellschaft betrifft, hat er meiner Meinung nach Grosses geleistet. Die Gesundheitsreform, die Akzeptanz gegenüber Minderheiten und Randgruppen, das Aktivieren der Jugend als politische Kraft – all dies sind Errungenschaften, die uns als Gesellschaft vorwärts gebracht haben. Und dies wird ihm, da bin ich überzeugt, in den kommenden Jahrzehnten hoch angerechnet werden. Diese Art der gesellschaftlichen Entwicklung lässt mich denn auch hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

Die Musik auf dem neuen Album macht es fast unmöglich herauszuhören, was Sie persönlich für Musik bevorzugen. Ihr Sound ist so eigenwillig und persönlich, dass hinter dem Kunstwerk die Referenzen verschwinden. Wer sind Ihre Einflüsse und was hören Sie privat?

Ich unterscheide nicht zwischen Stilen oder Genres. Ich höre alles, was ich für gute Musik halte – egal ob Rock, Indie, Electronic, Hip-Hop, Jazz oder klassische Musik. Deshalb macht es für mich auch keinen Sinn, nun eine Liste von Namen zu nennen.

Nun, Sie haben zumindest Joni Mitchell erwähnt. Hatten Sie denn schon Gelegenheit, Sie persönlich kennenzulernen?

Ja, das hatte ich (lächelt).

Sie hat in der Vergangenheit oft mit namhaften Jazzmusikern zusammengearbeitet, vielleicht können Sie sie motivitieren, gemeinsam ein Album zu machen?

(lacht) Ich glaube kaum. Sie hat für mich jenen Status der künstlerischen Existenz erreicht, in der man es nicht mehr nötig hat, sich in der Öffentlichkeut zu zeigen, obwohl man als Künstler immer noch omnipräsent ist. Ich glaube, wenn es John Coltrane vergönnt gewesen wäre, länger zu leben, er hätte sich auf dieselbe Art und Weise zurückgenommen. Glenn Gould hat dies auch gemacht. Ich bewundere diese Haltung.

Ist dies ein Pfad, den Sie für sich auch nehmen möchten?

Ich kann nicht sagen, wo mich mein Weg hinführt. Ich empfinde das Privileg, Kunst zu schaffen als etwas Höheres, etwas, das mich führt. Ich kann nur sagen, dass ich für jede Art von Pfad, wo er auch hinführt, bereit bin. Ich bin berührt von der Tatsache, dass ich zurzeit mit meinen Alben überall gefeiert werde, aber ich werde nie Musik machen, um den Leuten zu gefallen und um weiterhin Erfolg zu haben. Leider sind in der Vergangenheit immer wieder talentierte Musiker in diese Falle getappt.

#-#IMG2#-##-#SMALL#-#Ambrose Akinmusire: The Imagined Savior is Far Easier to Paint (Blue Note)

Ambrose Akinmusire – «Our Basement (Ed)» feat. Becca Stevens and The Osso String Quartet (Audio) »

Ambrose Akinmusire - «My name is Oscar» (Audio) »

Ambrose Akinmusire – Webseite »

#-#SMALL#-#

» empfehlen:
das projekt hilfe/kontakt werbung datenschutz/agb impressum