14. M�rz 2012

Interview mit Feist

Wie Brotkrumen im Wald

Feist gehört zu den musikalisch vielseitigsten Singer/Songwriterinnen unserer Tage. Im Interview mit TheTitle äussert sich die Kanadierin über ihr aktuelles Album «Metals», ihre Affinität für die kalifornische Küste, ihr gespaltenes Verhältnis zu ihren Liedern und die Hoffnung mit ihrer bewusst gewählten Subjektivität auch andere anzusprechen.

Interview: Markus Schneider
Unglaublich schön: Feist in Big Sur. @ Mary Rozzi / Universal

Bereits ihr zweites Album «Let It Die» war 2004 ein stattlicher Erfolg in Kanada und in den Independent-Szenen weltweit. Sein Nachfolger «The Reminder» jedoch ging förmlich durch die Decke, mit fünf kanadischen Junos und vier Grammy-Nominierungen, jeder Menge Einladungen in prominente TV-Shows und Verkäufen in Millionenhöhe. Wie fühlt man sich denn inmitten solch massiver Aufmerksamkeit?

Feist: Es ging natürlich schon recht schnell. Aber genau betrachtet, hatte für mich schon «Let It Die» ziemlich Dampf und traf überall auf offene Ohren. Das hat mich eigentlich fast mehr umgehauen, zumal ich damals live ja ganz anders, mit dem Schwerpunkt auf Gitarren, aufgetreten bin als auf dem Album. Und ich hatte davor ja nicht einmal ein Label, und schon gar keinen Vertrag mit einem Major. «Let It Die» fühlte sich an wie im Eiltempo von Null auf Hundert. Danach schien es mir eher, als entwickle sich alles viel natürlicher.

Trotzdem haben Sie «Reminder» erstmal eine Auszeit gebraucht und sich vier Jahre bis zum neuen Album «Metals» genommen.

Ja, ich habe mir eine Pause verordnet. Aber nicht, weil ich zusammengeklappt wäre oder sowas, sondern als ganz bewusstes Sabbatical. Eine Auszeit von dem ganzen Touren, den TV-Auftritten, der Geschwindigkeit und der ganzen Geisteshaltung dahinter. Ich hatte den Eindruck, dass die Standards, die ich mir für mein Leben setze, auf die  falsche Seite kippten. Natürlich gehört das zum Kern meiner Arbeit. Aber das ist ja kein Grund, sich davon die Balance auffressen zu lassen. Ich wollte meine alten Sachen nicht kopieren und ich hatte keine Lust auf neue – vermutlich eine recht natürliche Reaktion auf die Aberhunderte von Shows, die ich gespielt hatte. Man fängt ganz unweigerlich an, alles ein bisschen zu genau unter die Lupe zu nehmen. Alles rutscht in philosophische Dimensionen, man wird abergläubisch, und ich habe mich gefühlt, als würde ich zur Kopie einer Kopie werden. 

Vergleichen Sie denn die beiden Alben?

Nein, eigentlich gar nicht. «The Reminder» liegt mir natürlich am Herzen. Es gehört mir, ich hab es geschrieben, aufgenommen, betourt und war ganz egozentrisch darauf fokussiert, es mir schön einzurichten. Das ist natürlich auch mit «Metals» so. Aber in der Produktion ist man eher myopisch auf die Arbeit fixiert. Ich habe eigentlich erst, als das Ende in Sicht war gedacht, jetzt sollte ich vielleicht meinem Label mitteilen, dass ich ein Album aufgenommen habe. Erst dann fängt man auch an, sich Gedanken zu machen, wie es wohl ankommen wird, ob man negative Reaktionen befürchten muss und wie man damit umgehen wird – eine Art allgemeine Angst (lacht). Wobei ich eben das recht entspannende Gefühl hatte, dass «Metals» genau das Album war, das ich machen musste. Es ist ja eine sehr intensive Erfahrung, als ob man ein paar seiner Adern in dieses Ding flicht. Das ist sicher genauso, wenn man ein Buch schreibt oder eine Leinwand bemalt: Du schaffst deine eigene Logik, dein Universum und füllst den Raum aus, und am Ende erschließt sich der Sinn vor allem dir selbst. Wenn der Rest der Welt einen Zugang findet, ist das super. Aber wenn nicht, dann eben nicht.

Sie haben sich tatsächlich in unwahrscheinlich vielen Kontexten zwischen Punk, Elektro und Noise-Rock herumgetrieben. Wann wussten Sie, dass Sie ihren Stil gefunden hatten?

Ich dachte, der Punkt sei mit «The Reminder» gekommen. Aber jetzt habe ich das Gefühl mit «Metals». Und natürlich (lacht) wird – das hoffe ich jedenfalls – das nächste Album auch wieder ganz anders ausfallen. Es gibt natürlich Motive von «The Reminder», die ich auf «Metals» wieder erkenne, sozusagen als Grossväter, Ahnen. «Sea Lion Woman» oder «Too Many People» wären demnach die Grossväter von «A commotion». «How Come You Never Go There» liegt auf der Linie von «My Moon My Man», mit einer Art geteilter DNA. Und vielleicht wäre «The Water», sozusagen als naturalistische Live-Einspielung, wo alle ganz vorsichtig, mit leichtem Touch und nur einem Fünftel ihres normalen Drucks spielen, der Ahne von «Caught A Long Wind» – ganz anders, aber mit einem Stammbaum, der die Ahnenschaft erkennen lässt. 

Die Aufnahmen zu «Metals» fanden seinerzeit in Big Sur in Kalifornien statt, einem beinahe mythischen Ort in der US-Literatur und Musik.

Ich liebe John Steinbeck. Er lässt ja viele Geschichten in der Gegend um Big Sur spielen, in Monterey oder Salinas, sehr visuell und sinnlich. Ich war zweimal zuvor dort gewesen, aber nur auf der Durchfahrt an der Küste entlang. Und jedesmal dachte ich: Das soll jetzt Big Sur gewesen sein? Man sieht ja nichts, es ist nur ein Stück Highway. Aber es ist unglaublich schön. 

Aber doch auch ein beliebtes Touristenziel, oder?

Vielleicht ist ja viel los, aber man sieht nichts. Man muss die Restaurants regelrecht suchen. Und wenn man durchfährt, sieht man höchstens da mal ein Motel, dort mal eine kleine Galerie, 20 Meilen lang, und das war’s dann. Die meisten Leuten sitzen irgendwo im Wald. Es war einfach toll, an einem derart schönen Ort zu sein, so isoliert und so fern von allem, was mein Leben üblicherweise so bestimmt. Es gibt ja Leute, die dort leben – ich wüsste wirklich gern, wie sie das hinkriegen: Ein gigantischer unbekannter Streifen, und dann steht man da an der Kante des Kontinents am Pazifik, und danach geht es einfach weiter als man sich vorstellen kann. Es haut einen um, dieses große Unbekannte. Wir haben das Album dann auf einer Ziegenfarm eingespielt, wo wirklich Käse hergestellt wird, und wo es diesen tollen grossen leeren Raum aus Holz gab. Die Songs waren ja im Grunde schon fertig arrangiert, aber sie haben mich irgendwie dahin geschickt.

Man meint derzeit eine Rückkehr zur Introspektion zu entdecken. Ein bisschen wie mit den Leuten, die man als Ihre Wurzeln sehen könnte, die LA-Songwriter der Siebzigerwende – die ganzen Kanadier (Feist lacht) – die nach den Sixties-Protesten zur Innenschau kamen. Haben wir vielleicht jetzt wieder so eine Zeit?

Also ich höre gerne alleine, und ich schreibe allein und stelle mir dabei jemanden vor, der die Songs alleine hört. Auf dieser Ebene ist es eine Stimme für ein Ohr – naja, vielleicht doch zwei (lacht). Auf der anderen Seite ging es mir eben schon im Geschichtsunterricht so, dass ich die Zahlen und Daten nicht recht fassen konnte: Diese zehntausend Leute taten dieses, worauf ein paar andere Hunderttausend jenes taten. Das ergab irgendwie keinen rechten Sinn für mich. Aber wenn ich die Möglichkeit hatte, sozusagen aus erster Hand die Erfahrungen eines dieser Zehntausend zu lesen oder zu hören, dann hat es etwas ausgelöst: Der Unterschied, ob man das Wort Holocaust hört oder Anne Franks Tagebücher liest. Das eine kann man sich ganz unmöglich vorstellen, das andere ist zwar subjektiv, die Erfahrung einer Person, aber im Kontext entsteht daraus dann eben ein viel greifbareres, kompletteres Bild. 

Geschichte zum Anfassen?

Ich lese wahnsinnig viele Autobiografien, das hilft meinem historischen Verständnis. Ich haben sogar Katharina die Große gelesen, Benvenuto Cellini, ein Goldschmied und manieristischer Bildhauer des 16. Jahrhunderts, oder Klaus Kinski, mit seinen lächerlich aufgeblasenen sexuellen Eroberungen (lacht) und seinem Hass auf Werner Herzog. Ich mag Fiktion, weil es fabelartig zugeht und man vom Menschen als solchem etwas erfährt. In Autobiografien erzählt zwar nur eine Person ihre bescheidene Geschichte, aber man sieht dabei natürlich auch, wie Leute in Erinnerung bleiben wollen, welche Teile sie erinnert wissen wollen, wenn sie sich etwa als große Philanthropen ausgeben. Man erfährt dabei etwas darüber, wie Leute in der Vergangenheit mit sich selbst umgegangen sind, sich akzeptiert haben und die Geschichte umschreiben. Ein  Blick in solche Subjektivität, mit allen Löchern, ist wirklich eine extrem spannende Sache.

Ihre eigenen Texte wirken auch oft biografisch. Wie halten Sie die Balance zwischen persönlicher Erzählung und universellem Blick, ohne auf Selbstschutz zu verzichten oder sich im Allgemeinen zu verlieren?

Ich glaube, ich habe meine Worte diesmal sehr, sehr sorgfältig abgewogen. Ich lerne ja schon daraus, wenn ich sechs, sieben Jahre alte Stücke bringe, die trotz all der Performances noch in Form sind oder nach vorne weisen. Manchen scheint dieses Zeitreise-Gen zu fehlen. Stücke wie «Mushaboom» oder «Gatekeeper», die bleiben für mich lebendig – ich sage das, weil Lieder wirklich sterben können, sie können umkippen und dich bitten: Hör auf, mich zu singen, lass mich in Ruhe. Ein Stück wie «Let It Die» dagegen ist völlig autobiografisch, aber eben nicht in dem Sinne, dass am Donnerstag dieses geschah, worauf ich mich am Freitag so gefühlt habe – keine langweiligen Details, sondern Sachen, die auch wieder neu wirken können. Es kommt ja vor, dass man live etwas singt, ohne sich weiter um den Text zu kümmern und stattdessen denkt: Ich spiele heute die Gitarre mal so, oder man freut sich am Spiel der anderen und macht halt so vor sich hin. Und wenn es dann plötzlich wieder tackert wie ein Nachrichtenticker und es wieder da ist, während es aus deinem Mund kommt, mit ganz frischer Bedeutung, das ist eine wunderbare Überraschung. 

Wovon hängt das ab?

Ich habe so langsam immerhin eine Idee davon. Wenn ich das, was mir ganz persönlich passiert, nehme und dann lese oder höre, was die selbe Erfahrung mit anderen Leuten getan hat. Dann koche ich es herunter, bis etwas bleibt, das hoffentlich wahrhaftiger ist als nur mein eigenes Gejammer. Das wollen ja nicht mal meine Freunde hören (lacht). Also ein Schritt zurück von der Subjektivität, damit sich eine Tür öffnet, durch die dann auch andere gehen können. Daher liegt es an einem ganz selbstsüchtigen Grund, dass ich diesmal etwas zentralere Beobachtungen singe: Ich will sie weiterhin singen können und von ihnen lernen. Und vielleicht werden sie so etwas wie Brotkrumen im Wald, die mir helfen, meinen Weg zu finden. 

#-#IMG2#-##-#SMALL#-#Feist. Metals. (Universal)

Webseite »

Videoclip «How Come You Never Go There» »

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