24. Januar 2013

«Hannah Arendt» – Interview mit Margarethe von Trotta

«Ich bin eine ewige Studentin»

Mit «Hannah Arendt» porträtiert Margarethe von Trotta erneut eine historische Frauenfigur und ihr Kampf um Freiheit, Würde und Selbstbestimmung. Ein Gespräch mit der deutschen Filmemacherin über freie Gedanken, Freundschaften, die Qualitäten Barbara Sukowas und die Gefahr des Scheiterns.

Interview: Rudolf Amstutz
Denken ohne Geländer: Barbara Sukowa als Hannah Arendt in Margarethe von Trottas filmischen Porträt. Bild: filmccopi
Margarethe von Trotta konzentriert sich in ihrem filmischen Porträt über Hannah Arendt auf die vier Jahre, in der die Philosophin aus ihrem amerikanischen Exil nach Jerusalem reist, um für die Zeitschrift «The New Yorker» über den Prozess gegen den Naziverbrecher Adolf Eichmann zu berichten. Ihre Artikelserie, in dem sie auch den Begriff der «Banalität des Bösen» verwendet, löst einen Skandal aus, der selbst im engsten Freundeskreis Arendts zu Zerreissproben führt. «Hannah Arendt» ist ein Film über das Denken und über die Freundschaft und zeigt auf, in welchem Spannungsfeld zwischen Exil, jüdischer Identität und komplexen Beziehungen Arendts Theorien überhaupt erst entstehen konnten. Es ist ein Kammerspiel, das mitten hinein in die Psyche einer Frau führt, die vor der Konsequenz freien Denkens nicht zurückschreckt. Von Trotta schafft mit präzisen Beobachtungen auch das Porträt der jüdischen Emigranten, die in der Zukunft angekommen, die Vergangenheit zu bewältigen versuchen. Zudem lebt der Film auch dank eines grandiosen Darstellerensembles, angeführt von Barbara Sukowa, die Hannah Arendt in ihrer ganzen Konsequenz und Vielschichtigkeit erneut zum Leben erweckt.

Margarethe von Trotta, es hat zehn Jahre lang gedauert, bis der Film über Hannah Arendt Wirklichkeit wurde. Das ist eine lange Zeit.

Ein Freund, der oft mit mir gearbeitet hatte, sagte zu mir: «Ich würde mir so wünschen, dass Du einen Film über Hannah Arendt machen würdest.» Ich reagierte darauf zunächst zögerlich und auch erschrocken, da ich mir nicht vorstellen konnte, wie man einen Film über eine Denkerin und Philosophin machen kann. Unvernünftigerweise oder aus heutiger Sicht vernünftigerweise, erzählte ich der Pamela Katz, Ko-Autorin meines Films «Rosenstrasse» und eine in New York lebende Amerikanerin, davon. Und die war dermassen begeistert, dass sie gleich die Archive stürmte. So wurde ich dann von zwei Seiten in die Mangel genommen (lacht) und liess mich begeistern.

Hatten Sie denn mittlerweile eine Vorstellung, wie man Hannah Arendt, die Denkerin, filmisch umzusetzen vermag?

Ich begann 2002 damit, viel zu lesen und zu recherchieren. Zwei Jahre später hatten wir die erste Rohfassung des Drehbuches, aber darin schilderten wir noch das ganze Leben Arendts – angefangen damit, dass sie als Studentin zu Heidegger nach Marburg kommt. Eigentlich hofften wir mit dieser Version zu Geld zu kommen. Kamen wir aber nicht.

Das war für Sie aber kein Hinderungsgrund um weiter zu machen.

Wir waren zu diesem Zeitpunkt bereits so fasziniert vom Thema, dass wir nicht mehr aufhören konnten. Wir sahen dann ein, dass die Beschreibung des ganzen Lebens ein falscher Ansatz war. Man hätte dann einfach die Stationen ihres bewegten Lebens aufgezeigt, aber keine Möglichkeit gefunden, den Stoff zu vertiefen. So kamen wir zum Schluss, uns auf die vier Eichmann-Jahre zu beschränken, damit genug Raum entsteht, um in die Tiefe ihrer Analyse und ihrer Gedanken gehen zu können. 

Wenn man soviele Informationen über eine komplexe Figur wie Hannah Arendt zusammenträgt, gibt es da auch Momente, in denen man Angst verspürt? Wo man denkt, das schaffe ich nicht, diesen Stoff filmisch gerecht umzusetzen?

Man hat andauernd das Gefühl, man sei überfordert, man schaffe das nie. Oder, dass ich Hannah Arendt das Wasser nicht reichen kann. Ich hatte unentwegt das Gefühl, mich auf dünnem Eis zu bewegen. Und es gab Momente, da hatte ich gehofft, der Film würde nicht zustande kommen. Wo ich gedacht habe, vielleicht muss es so sein, dass der Kelch einfach an mir vorüber geht. 

Wenn man sich dermassen mit einer Person beschäftigt, wird diese ja einem dermassen vertraut, dass man Angst kriegen könnte, ihr nicht mehr…

…gerecht zu werden. Natürlich. Zuerst dachte ich, sie sei eine intellektuelle Hünin, und dass ich ihr deswegen nicht gewachsen bin. Ich hatte aber ja das Glück, die Lotte Köhler kennenlernen zu dürfen, eine enge Freundin Arendts, die vor zwei Jahren starb. Und sie hat uns auf dem Weg zum Drehbuch enorm unterstützt. Als sie erfahren hat, dass Barbara Sukowa die Hauptrolle spielen würde, meinte sie, dass Hannah Arendt überaus glücklich gewesen wäre, dass die selbe Schauspielerin, die bereits Rosa Luxemburg verkörperte, nun auch sie auf die Leinwand bringen würde. Arendt hat ja Luxemburg verehrt und ihr auch einen Essay gewidmet.

Als Regisseurin vermitteln Sie mit Ihrem Werk ja auch ein bestimmtes Denken, eine Art Philosophie. Spürten Sie in dieser Hinsicht eine Verwandtschaft mit Arendt?

Verwandschaft wäre ja sehr hoch angesetzt, ich bin ja keine Philosophin.

Arendt hat sich selber ja auch nicht als Philosophin betrachtet.

Ja, sie verstand sich als Theoretikerin und als politische Schreiberin, weil sie – wie sie sagte — sich nach 1933 einfach der Realität stellen musste. Zuvor war sie reine Philosophin, aber dann kam das Leben plötzlich so dick daher, dass sie von der Realität einfach überwältigt wurde. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch Ihr Ehemann Heinrich Blücher, den sie in 1936 in Paris in der Wohnung Walter Benjamins kennengelernt hatte. Blücher war ja Ex-Kommunist, ein Proletarier und Autodidakt, der sich zu allem und jedem eine eigene Meinung bildete. Gemeinsam mit ihm wurde ihr auch klar, dass sie sich mit der Wirklichkeit und nicht nur mit Kant und Platon auseinandersetzen musste.

«Hannah Arendt» ist ja auch ein Film über das Denken. Nun leben wir ja in einer Zeit, in der die Menschen kaum noch zum denken kommen.

Das stimmt. Die Menschen sind überfordert durch die mediale Flut. Zudem fanatisiert sich ja alles wieder. Etwa der arabische Frühling, von dem wir uns so viel erhofften, und der sich nun in eine islamistische Richtung entwickelt, das ist ja alles wieder eine Eingrenzung. Da denkt man, es entstünden Demokratien und muss erkennen, dass die Menschen wieder in ein Korsett gezwängt werden und erneut einer Ideologie folgen müssen. Und so werden Menschen immer wieder des eigenen Denkens enthoben. Dieser Satz von Arendt «Denken ohne Geländer» ist für mich einer der idealen Sätze, nur kommt dieses geländerlose Denken immer weniger vor. 

Neben dem Denken sind auch Freundschaften ein zentrales Thema des Films. Arendt und ihr Freundeskreis haben die Streitkultur zelebriert. Etwas, das heute in dieser Intensität kaum noch gelebt wird.

#-#IMG2#-#Diese Menschen hatten die Polemik in ihrem Emigrantengepäck mit in die USA genommen. Da unterschieden sie sich von den Amerikanern. Das ist auch heute noch so. Zuerst werden bei dem Amerikaner Freundlichkeiten ausgetauscht und dann erst kommt die Kritik, während die Deutschen sofort zuschlagen. (lacht) Neben der Kunst des Streitens brachten die Deutschen auch eine unglaubliche Liebe zur Sprache und zur eigenen Kultur mit in die USA. Sie lehnten zwar alles ab, was in Deutschland vor sich ging, aber die Sprache und Kultur hielten sie hoch. Da trug man sich stundenlang gegenseitig Gedichte vor oder beschäftigte sich mit Goethe-Zitaten. Diesen Schatz brachten sie mit, mussten aber gleichzeitig alle Englisch lernen, eine für sie völlig fremde Sprache. Griechisch und Latein konnten sie dank ihrer humanistischen Bildung, Französisch dank des Aufenthaltes in Paris. Aber dann, als sie endlich in einer wirklichen Demokratie ankamen, war es ihnen nicht möglich, sich zu verständigen. Arendt musste dann für drei Monate zu einer amerikanischen Familie als «Au-pair-Mädchen», obwohl sie schon weit über Dreissig war. Nur den deutschen Akzent, der ja im Grunde unerträglich ist, den wurden sie nie los. (lacht)

Der Philosoph Hans Jonas und Kurt Blumenfeld sind zwei sehr enge Freunde Arendts, die mit ihrer Berichterstattung über den Eichmann-Prozess gar nicht klarkommen. Gerade bei Jonas erstaunt, dass er es als Denker nicht schafft, sich auf eine rein theoretische Ebene zurückzuziehen, um die gedanklichen Prozesse seiner Freundin zumindest als möglichen Ansatz nachzuvollziehen.

Die Mutter von Jonas ist in Auschwitz umgekommen und Jonas hat sich weitaus mehr mit der jüdischen Kultur auseinandergesetzt als Arendt es jemals getan hat. Sie war ganz klar eine deutsche Jüdin, die zwar Jerusalem mehrmals besucht, aber nicht so wie Jonas auch dort gelebt hat. Das erklärt diese Empfindlichkeit, auf die Arendts Worte gestossen sind. Auf der einen Seite nimmt sie ihn als Freund natürlich ernst, kann und will aber nicht zurücknehmen, was sie da geschrieben hat. Jonas war dann zwei Jahre lang mit Arendt verfeindet, bis seine Frau ihm gesagt hat, dass er eine solche Freundschaft nicht wegen dieses Buches zerstören kann. Daraufhin trafen sie sich zu einem Tee und haben dann das Thema nie wieder angesprochen. Anders als Blumenfeld, der hat ihr nicht verziehen. Und das hat sie unendlich verletzt. Und weil er dann starb, wurde der Akt der Versöhnung unmöglich.

Das ist Ihre sechste Arbeit mit Barbara Sukowa. Denken Sie mittlerweile bei einem neuen Film nicht mehr an eine mögliche Besetzung, sondern eher welcher Filmstoff am besten zu Sukowa passen könnte.

Na ja, ein bisschen von beidem.

Das hat ja in der Filmgeschichte eine lange Tradition, dass Regisseure sich stets auf die selben Darsteller verlassen. François Truffaut mit Jean-Pierre Léaud, Federico Fellini mit Marcello Mastroianni…

…ja und mir wollte man dies eigentlich gar nicht gestatten. Ich musste Barbara gegenüber fast allen Geldgebern und auch gegen meine Produzentin durchsetzen. Ich hab dann einfach gesagt, dass ich den Film ohne sie nicht machen würde. Natürlich habe ich auch auf Truffaut verwiesen und auf Hitchcock, der ja eigentlich nur mit Grace Kelly gearbeitet hätte, wäre ihm da nicht der Fürst in die Quere gekommen. Auch in Deutschland gibt es diese Partnerschaften. Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla oder jetzt der Christian Petzold und Nina Hoss. Nur mir wirft man dies vor, nur ich soll das nicht dürfen. Da stell ich dann schon auf stur. Im Nachhinein finden natürlich jetzt alle, dass sie die beste Besetzung für den Film ist.

Als Regisseur ist es doch wichtig, dass auf der anderen Seite der Kamera jemand ist, der ganz genau weiss, was man will.

Natürlich. Und Barbara ist eine unglaublich intelligente Person. Als ich mit ihr «Rosa Luxemburg» gemacht habe, also wie sie sich ins Thema hineingearbeitet hat, das war unglaublich. Sie bereitet sich akribisch auf eine Rolle vor. Im Falle von Arendt hat sie sich einen Philosophie-Lehrer engagiert und drei Monate vor Drehbeginn bereits damit begonnen, Englisch mit deutschem Akzent zu sprechen. Sie lebt ja seit zwanzig Jahren in New York und spricht perfekt Englisch. Das hat natürlich alle Leute um sie herum fast wahnsinnig gemacht. (lacht)

Rückblickend betrachtet reiht sich «Hannah Arendt» ja wunderbar in Ihr gesamtes Schaffen ein. Eigentlich ist jeder Ihrer Filme ein Mosaikstein eines Gesamtkunstwerkes.

Ja schon, aber davon gehe ich nicht aus. Das ergibt sich so. «Hannah Arendt» ist der logische Schluss einer Klammer, die ich damals mit «Rosa Luxemburg» geöffnet habe. Luxemburg, die noch voller Hoffnung und voller Utopien ins Jahrhundert blickt und denkt, dass sich jetzt alles erfüllen wird und dann als Jüdin ermordet wird durch Freikorps-Soldaten, die anschliessend zu Hitler übergehen. Anschliessend habe ich «Rosenstrasse» gemacht. Ein Film über Frauen, die  im Februar 1943 um ihre Männer kämpfen, die also mittendrin sind im Unglück. Und jetzt schliesst sich die Klammer mit «Hannah Arendt», die zurückblickt in die – wie sie sie nennt – finsteren Zeiten und diese analysiert. 

Dann scheint es am Ende so, dass die Filme in ihrer Gesamtheit Ihnen den roten Faden durchs eigene Werk erzählen.

Auf jeden Fall. Ich habe auch immer das Gefühl, dass sie auf mich zukommen und nicht umgekehrt.

Das ist einerseits ein schönes Gefühl, bringt aber auch eine Verantwortung mit sich.

Ja eben. Das kann einen schon zum Schlottern bringen. Im Falle von «Rosa Luxemburg» habe ich zwei Jahre lang gelitten, weil ich nicht wusste, ob ich das überhaupt schaffe.

Man gibt sich in einer solchen Phase als Person selber gänzlich auf.

Absolut. Das sehen Sie ganz richtig. (lächelt)

Was war denn der Ausschlag in Ihrem persönlichen Leben, dass Sie sich mit diesen Themen so intensiv auseinandersetzen oder aber dass Sie von diesen Themen ausgewählt wurden?

Das weiss man vielleicht erst immer im Nachhinein. Vor jeder Arbeit liegt da ja stets das Fremde. Aber ich bin sehr neugierig, ich nenne mich selber die ewige Studentin. Ich will unablässig was dazulernen.

Sollte eigentlich ein Grundzug eines jeden Menschen sein, sich als ewigen Studenten zu betrachten.

Auf jeden Fall. Ich bin ja auch mit Freude Studentin. Und so setze ich mich dann mit dem Fremden auseinander. Und wenn das Fremde zum Vertrauten wird, sehe ich dann oft erst, wo die Gemeinsamkeiten mit meinem Leben sind. Im Falle von Arendt war es auch Ihre Staatenlosigkeit. Die deutsche Staatsangehörigkeit verlor sie, als sie 1933 nach Frankreich floh. In den USA wurde sie dann viel später Amerikanerin, aber als Staatenlose ist man ja heimatlos und ausgesetzt. Man fühlt  sich immer irgendwie nicht dazugehörig. Und ich war staatenlos bis zu meiner ersten Ehe. Seitdem bin ich Deutsche. Ich sprach dieselbe Sprache, hatte dieselbe Kultur, gehörte aber bis zur Heirat nicht wirklich dazu. Und von Arendt weiss man, dass sie morgens oft sehr melancholisch und deprimiert war und dass diese Gefühle erst im Laufe des Tages verschwanden. Diesen Zustand kenne auch ich sehr stark.

Kann man davon ausgehen, dass Sie Ihren nächsten Film bereits im Kopf haben?

Ja. Mit Barbara Sukowa. Natürlich (lächelt). Es geht um ein Schwesternpaar, gespielt von Barbara und Katja Riemann. Katja hat mit mir «Rosenstrasse» gemacht. Ich bleib also meinen Schauspielerinnen treu. Ich liebe es, mit denselben Leuten immer wieder zu arbeiten. Nach dem historischen wird es diesmal ein fiktives, zeitgenössische Thema sein, das aber auch irgendwie mit meinem Leben zu tun hat.

Was ist einfacher? Eine Geschichte zu erfinden oder sich mit historischen Tatsachen zu befassen?

Man fühlt sich bei einer Fiktion natürlich freier. Aber die Gefahr auszurutschen ist auch grösser. An einer faszinierenden Persönlichkeit wie Hannah Arendt kann man sich irgendwie auch festklammern.

Die Gefahr des Scheiterns gehört zur Kunst.

Ich hab zwar stets Angst vor dem Scheitern, aber gleichzeitig nehme ich diese Gefahr in Kauf. Dieses Wagnis muss man eingehen.

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Hannah Arendt. Deutschland 2012. Regie: Margarethe von Trotta. Drehbuch: Margarethe von Trotta und Pamela Katz. Kamera: Caroline Champetier. Musik: André Mergenthaler.
Mit: Barbara Sukowa (Hannah Arendt), Axel Milberg (Heinrich Blücher), Janet McTeer (Mary McCarty), Julia Jentsch (Lotte Köhler), Ulrich Noethen (Hans Jonas), Michael Degen (Kurt Blumenfeld), Victoria Trauttmansdorff (Charlotte Beradt), Klaus Pohl (Martin Heidegger), Nicholas Woodeson (William Shawn).

«Hannah Arendt» – Trailer »
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