30. April 2012

«Das Seidenband», Hannes Nüsseler

Basler Handel und Händel

Dem 1973 in Basel geborenen Journalisten Hannes Nüsseler gelang mit seinem ersten Comicband «Das Seidenband» ein echter Wurf.

Von Hans Keller
Verführt in eine andere Welt: Szene aus «Das Seidenband» von Hannes Nüsseler. Bild: © Edition Moderne

Endlich! Nach langer Zeit erfreut sich die Deutschschweiz mit Hannes Nüsseler wieder einmal eines neuen und fähigen Comicerzählers. Die Art und Weise, wie Nüsselers Erstling «Das Seidenband» zu seiner Veröffentlichung kam, war ungewöhnlich. Der Autor, der schon immer gezeichnet hat, sandte das komplett durchgearbeitete Buch an die Zürcher Edition Moderne und dort befand man – was äusserst selten vorkommt – den Comic sofort der Herausgabe für würdig.

Während in der Romandie narrative, aber keineswegs altbackene Bandes Dessinées florieren, dümpeln viele Outputs diesseits des Röstigrabens in überholtem Avantgarde-Gekrakel, zu dessen Genuss sich die präventive Einnahme von Kopfschmerztabletten empfiehlt. Es gibt diverse Vorgehensweisen für ernsthafte Comic-Schöpfer. Zur Gestaltung erfundener Plots braucht es gute Ideen und dramaturgische Fantasie. Qualitäten, die nur eine Minderheit unter den Comicschaffenden besitzt. Der Rest wartet gewöhnlich mit mässig spannenden Szenarien auf, und wem – dazu gehören eben viele Kritzler – nichts Gescheites einfällt, der bietet oft uninteressant Autobiographisches. 

Sicherer Fabulierer

Geschickte Geschichtenerzähler wie Nüsseler hingegen wissen Fakten stimmig mit frei Erfundenem zu verbinden. Der Zeichner flicht sein Historiendrama «Das Seidenband» in eine Art Rahmenerzählung hinein. Ein Pärchen bezieht eine gemeinsame Wohnung. Die junge Frau stösst beim Einräumen auf ein französisch geschriebenes, altes Tagebuch und ist vom Inhalt schnell einmal gefesselt. Erzählt werden da Begebenheiten aus dem Basel der Napoleon-Zeit. Frankreich hat gegenüber England eine Kontinentalsperre verhängt, es darf kein Handel mehr mit der Insel getrieben werden. 

Die junge Frau taucht in die Ereignisse ein, wie sie sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zugetragen haben. Die Basler Firma Blanc Père et Fils & Cie steht unter Verdacht, verbotenen Handel zu treiben und soll durch einen als Versicherungsvertreter getarnten französischen Spion ausgehorcht werden. Tatsächlich hat der Familien-Clan Dreck am Stecken. Der Spion gerät als Gast von Blanc in einen Sumpf aus Korruption, Vetternwirtschaft und Ausbeutung. Nüsseler stützte sich für seine Geschichte auf die Chronik einer tatsächlich existierenden, wohlhabenden Familie aus dem Basler «Daigg», die ihm Schilderungen einschlägiger Machenschaften lieferte. Es werden im «Seidenband» auf narrativ spannende Weise die unscharfen Grenzen zwischen Diplomatie, dubiosen Geschäften, Opportunismus und blanker Kriminalität freigelegt.  

Der Plot ist äusserst flüssig erzählt, obschon es auch im «Seidenband», wie in so manchem anderen vergleichbaren Comic, zu textlastige Seiten gibt. Abgesehen davon reihen sich hier jedoch die Panels mit ihren sicheren Zeichnungen so stimmig aneinander, dass es eine wahre Lust ist, das Auge über die Handlung hüpfen zu lassen. Kein Detail zuviel, keines zu wenig, etwa in Nachtsequenzen, die den Spion im Schatten der Häuser schleichend, sich über Hecken hangelnd und einen durch das Spalentor in die Landschaft hinausrumpelnden Pferdewagen verfolgend zeigen. 

Während die Basler Stadtszenen optisch scheinbar betuliche Ordnung in den Strassen und den Sälen der Villen verströmen, findet das delinquente Treiben des Familienclans ab vom Schuss in der Landschaft statt. Und hier «Vor den Toren» (IV) kommt Dramatik in den Plot.

Sicherer Zeichner

Es lassen sich diverse formale Einflüsse feststellen. Da mag einiges, etwa die zu einem Dreieckskäslein gerafften Nasen und ganz allgemein die Figuration, an Hugo Pratt gemahnen, während anderes die sowohl poetische als auch effektiv sparsame Bildsprache gewisser Zeichner des innovativen französischen Association-Verlagsumfeldes evoziert. Nüsseler hat jedoch, alle Anregungen und Inspirationen instinktiv integrierend und zu einer Synthese führend, eine durchaus eigene Bildsprache gefunden. Besonders anrührend: duftige Spazierszenen in der Basler Landschaft erinnern mit ihren feinen Strichtexturen fast an eine moderne Umsetzung vergleichbarer Bukolik im Werk des Genfer Comicpioniers Rodolphe Töpffer (1799-1846). Die Idylle wird dann aber im Showdown ein Raub der mit grobem Pinsel hingehauenen Flammen. Virtuos. Ein Fazit, das die junge Frau in der Rahmenhandlung am Schluss aus der Lektüre des Tagebuches zieht, sei verraten: sie löst ihr Konto auf, das sie bei einer Bank des einschlägigen Basler Familienimperiums hat.

#-#IMG2#-##-#SMALL#-#Hannes Nüsseler, «Das Seidenband», 112 Seiten, s/w, Hardcover, Edition Moderne, CHF 29. 80 / € 25.00#-#SMALL#-#

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