DOSSIER BRIAN WILSON: Der Einfluss der Beach Boys
Von den Ramones bis zu Fleet Foxes: das Erbe Wilsons ist überall
Wer heute über die Beach Boys lächelt, ist sich vielleicht nicht über den unglaublichen Einfluss der Musik Brian Wilsons auf die Musikgeschichte gewahr: von Frank Zappa und den Ramones über Queen bis zu Green Day: die Beach Boys-Harmonien wurden von ganzen Generationen aufgesogen und weiter verarbeitet.
Von Hanspeter Künzler
Die Ramones waren nicht nur die ersten Punks, sie waren auch die ersten Punks, die den Namen Dick Dale erwähnten. Hätte man die Tempi ihrer Songs ein bisschen abgebremst, hätten viele von ihnen auch von den jungen Beach Boys stammen können. Solcherlei Surf-Zitate waren kühn. Die Beach Boys galten zu dem Zeitpunkt vor allem in den USA wenig. Das Album «Holland» lag zwei Jahre zurück, und als im April 1976 das erste Ramones-Album erschien, waren seit dem letzten Top 20-Hit der Kalifornier («Do It Again», Juli 1968, Höchstplatzierung 20) fast acht Jahre verstrichen. Und als sie völlig aus dem Blauen heraus im Mai doch wieder die Top 5 knackten, war es mit dem tristen, flügellahmen «Rock & Roll Music». Uncooler als die Beach Boys ging es gar nicht.
Bezeichnenderweise begann die Rehabilitierung von Brian Wilson & Co. fernab von Surf, Sonne und dem Handlungsort wüster James Ellroy-Stories in Grossbritannien. Im Juni 1975 war es dem New Musical Express-Schreiber Nick Kent gelungen, seine Publikation dazu zu überreden, einen dreiteiligen Essay zum Thema Beach Boys zu publizieren. Der Essay hiess «The Last Beach Movie – Brian Wilson 1942 –…» (sic) und trug die Untertitel «20’000 Leagues Under The Surf», «Smile…» und «Wipe-Out». Kent, dem auch die Wiederentdeckung von Nick Drake zu verdanken ist, genoss bei seinen supertrendigen Lesern die Glaubwürdigkeit eines Orakels. Nicht nur war er ein begnadeter Schreiber, seine musikalische Antenne reichte weit über den Wasserspiegel der Trends hinaus – seine nur allzu kurze Essay- Sammlung «The Dark Stuff» gehört noch heute zur Pflichtlektüre jedes Musikfans.
Wenn Nick Kent die Beach Boys schätzte, dann nahm man das ernst und man gab sich grösste Mühe, seinen Gedankengängen zu folgen. Und las – in den meisten Fällen wohl zum ersten Mal überhaupt – welch ein bizarres Leben diese Band, diese Familie, geführt hatte und immer noch führte. Jedenfalls bewog jener Nick Kent-Artikel auch den damals 19-jährigen Schreiber dieser Zeilen, seine Beach Boys-Platten aus den hinteren Winkeln seiner Sammlung hervorzuholen, um sie mit frisch geputzten Ohren neu anzuhören.
Natürlich hatte der Einfluss von Gesangsharmonien im Stil der Beach Boys längst seine Spuren in den verschiedensten Gefilden der Popmusik hinterlassen. Selbst bei den Beatles waren sie des Öfteren festzustellen gewesen. «Revolver» ohne Beach Boys – unmöglich. Frank Zappa importierte den Sound pfannenfertig in seinen Avant-Jazz-Rock, als er das bei den Turtles ausgestiegene Gesangsduo Fluorescent Leech & Eddie für sein Orchester verpflichtete (übrigens gehören die sträflich ignorierten Turtles zu den interessantesten Post-Beach-Boys-Gruppen – ihr Album «Battle of the Bands» ist ein Kompendium von freudvollen Parodien gängiger Popstile). «Bohemian Rhapsody» trieft nur so von Brian Wilson. In London stellte der Gitarrist und Songschreiber Adrian Baker unter dem Namen Gidea Park fast lupenreine «klassische» Beach Boys-Persiflagen her und schaffte es mit Titeln wie «Beach Boy Gold» und «California Gold» Ende der 1970er Jahre tatsächlich in die Charts (er schaffte noch mehr: während drei verschiedenen Zeitabschnitten war er später offizielles Mitglied der Beach Boys-Touring-Band).
Dann kam die Post-New Wave-Zeit, und immer mehr Bands, die von supercoolen Indie-Labels à la Rough Trade verlegt wurden, redeten plötzlich pausenlos von «Pet Sounds». Dazu gehörten Bands wie Monochrome Set und Microdisney. In diesen Kreisen lauschte man auch eifrig kratzige Bootlegs von den «Smile»- Sessions. Kein Wunder erlebte die englische Fan-Postille «Beach Boys Stomp» damals eine Hausse und war sogar im Virgin Megastore zu haben. In England gab es zwar auch etliche Surf-Punk-Bands, die zum Teil am Rand der Rockabilly-Szene operierten – zum Beispiel die auch in der Schweiz populären Surfing Lungs. Sean O’Hagan, der nunmehrige Ex-Gitarrist von Microdisney, schlug indes einen besonders eigenwilligen neuen Weg ein. Für seine neue Band High Llamas liess er sich nicht nur von den Harmoniegesängen der Beach Boys inspirieren, sondern auch von «Let’s Go Away For Awhile», dem eigenartig luftigen Instrumentaltrack auf «Pet Sounds», sowie vom Titelstück selbst. So entstand eine ducharrangierte Art von Indie-Easy-Listening-Sound, dessen Spuren sich einerseits im Post-Rock von Lambchop und Tortoise verlief und gewisse französische Bands andererseits bedenklich nahe ans Cheesy-Listening führte.
In Kalifornien hatten die Dead Kennedys die Verbindung von Punk und Surf weitergeführt. Zwanzig Jahre später ist in Kalifornien Punk und Surf fast nicht mehr auseinanderzuhalten. Endlos die Zahl von Punk-Bands, die im Fahrwasser der unvergleichlich superioren Green Day süffige Punkliedchen mit unverkennbaren Beach Boys-Anflügen dahindreschen, zu denen Surf- wie Skateboarder abends in ihren Bars geschmackfreie Budweisers hinuntergiessen.
Die Wiederausgrabung, Aufbereitung und Verbreitung von Brian Wilsons verloren geglaubtem Smile-Set markiert den vorläufigen Höhepunkt in der Transformation eines Teenie-Phänomens zum klassischen Komponier-Lehrbuch.
Bands wie Mercury Rev und Flaming Lips, die einst weit aussen am Rand operierten, füllen heute mit ihrer Musik ganze Stadien. Es gibt ein ganzes Heer von mittelbekannten Underground-Bands, die sich keine Mühe mehr geben, ihre Beach Boys-Einflüsse zu verstecken und diesen oft auch einen überraschenden, neuen Drall zu verpassen vermögen. Derart auffällig ist diese Entwicklung, dass ihr nun sogar die englische Current Affairs-Illustrierte New Statesman einen Artikel gewidmet hat. Dort wird Robin Pecknold zitiert, Kopf der Fleet Foxes aus Seattle, die mit ihrem Debüt-Album gerade all jene britischen Publikationen in Verzückung versetzt haben, die seit geraumer Weile das Genre «Americana» als breitgefächertes Gefäss für rootsige, liberal denkende amerikanische Non- Mainstream- Musik propagieren.
«Die Musik der Beach Boys hat ganz Amerika in sich aufgesogen», sagt Pecknold. «Und zwar vom sonnigen Sound von Hawaii bis zu den Folksongs des Südens und der Intelligenz des Nordostens. In harten Zeiten ist es wichtig, sich an die romantische Seite des Landes zu erinnern. Und an die Kraft der menschlichen Stimme, uns solche Emotionen zu vermitteln.»
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